: Klischee sind immer die anderen
Wie kommt die Holländerin in die Holzschuhe? Wie entsteht der „verschlagene Zigeuner“? Die Ausstellung „typisch! Klischees von Juden und Anderen“ im Jüdischen Museum zeigt, wie eng Vereinfachung und Diskriminierung zusammenhängen
VON PATRICIA HECHT
Die alltäglichen Klischees holen einen gleich zu Beginn der Ausstellung „typisch! Klischees von Juden und Anderen“ ein. Auf die Wand im Eingangsbereich wird Reklame projiziert, die im Lauf der vergangenen 60 oder 70 Jahre für Zigaretten, Staubsauger oder Jeans geworben hat. Einige der Banner und Plakate spielen mit Klischees: Zigaretten-Werbung verlegt den Indianer in den Großstadtdschungel, die Feder im Haar ist ein Teil vom Schrottplatz. Bei einem tanzenden Farbigen, der für einen Musikplayer wirbt, fragt man sich, ob das Model noch als Individuum verstanden werden kann oder doch eher das Klischee des Schwarzen mit Musik im Blut reproduziert. Offen rassistisch wird es, wenn der „Sarotti-Mohr“ großäugig und mit dicken roten Lippen Schokolade auf einem Tablett serviert oder sich ein Farbiger die Hand mit Seife weiß wäscht.
Diesen Schwebezustand zwischen Belustigung, Irritation und Befremden provoziert die gesamte Ausstellung im Jüdischen Museum. „Typisierungen und Klassifizierungen sind aus der populären Kultur nicht wegzudenken. Sie helfen uns mit dem Mittel der Vereinfachung, die Angst vor dem Unbekannten und Fremden zu bewältigen, liefern jedoch auch das Material für rassistische Ideologien“, so die Ausstellungsmacher um Felicitas Heimann-Jelinek. Fotografien, Filmausschnitte und Musik („Walk like an Egyptian“), historische Sammlerstücke und zeitgenössische Kunstwerke werden in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Wien in Berlin ausgestellt und beleuchten Ausprägungen und Eigenschaften eines Schubladendenkens, das die eigene Wahrnehmung häufig stärker prägt, als man es sich eingestehen will.
Während einen die Reklame noch eher eindimensional mit den eigenen Sehgewohnheiten konfrontiert, ist das Ausstellungskonzept ansonsten durch Dreierkonstellationen geprägt: Ein spezifisches Klischee wird jeweils in drei verschiedenen Versionen und Kontexten gezeigt: Ein Exponat aus der etablierten Kultur, ein Objekt aus dem Bereich der Populärkultur und Arbeiten zeitgenössischer Künstler, die die jeweiligen stereotypen Zuschreibungen offenlegen sollen, sind dabei einander gegenübergestellt. Dieser exakte Dreiklang funktioniert zwar nicht immer, die unterschiedlichen Dimensionen der gezeigten Klischees werden aber trotzdem deutlich.
So stehen beispielsweise Bronzeskulpturen aus dem 19. Jahrhundert, die orientalische Männer mit Teppichen und Turbanen darstellen und bis heute hohen Sammlerwert besitzen, neben einem österreichischen Kinderbuch mit dem Titel „Der böse Hatschi Bratschi heißt er und kleine Kinder fängt und beißt er“. Dort entführt ein böser türkischer Zauberer, ebenfalls mit Turban, fliegendem Teppich und Wasserpfeife bewaffnet, brave Christenkinder. Die Figur des Hatschi Bratschi verkörpert die Vorstellung vom Islam im Europa um 1900. Die iranische Künstlerin Shirin Neshat schließlich beschreibt mit ihrem Beitrag die Klischees eines militanten, fundamentalistischen Islams. Ihre Darstellung zeigt eine verschleierte Frau, die Waffen trägt und dabei doch merkwürdig spirituell wirkt.
Vom turbantragenden Türken über die Holländerin in Holzschuhen bis zu „verschlagenen“ Zigeunern: Wann die Stimmung von der Vereinfachung, die nicht automatisch diskriminierend sein muss, hin zur boshaften oder brutalen Eigenschaftszuschreibung einer Nation oder Gruppe kippt, ist eine der Fragen, die die Ausstellung stellt. In einem luftigen Design, das als Trennwände hellen Stoff nutzt, wird dabei auch gezeigt, wie durchlässig und wandelbar Bedeutungen von Klischees und Stereotypen sind.
Während Shylock aus Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ zunächst eine komödiantische Figur war, wurde daraus in den Darstellungen des 18. Jahrhunderts ein rachsüchtiger, schurkischer Jude. Durch die unterschiedlichen historischen Kontexte wird zugleich deutlich, wie stark Klischees Machtverhältnisse illustrieren und reproduzieren. Die Karikatur einer „jüdischen Nase“ transportiert noch nicht unbedingt Ressentiments – aber dasselbe scheinbar biologische Ordnungskriterium kann auch zum Merkmal von Diskriminierung und Verfolgung einer ganzen Gruppe werden.
Klischees betreffen immer nur die Anderen, wie der schöne Titel „Klischees von Juden und Anderen“ sagt. Zum Glück fragt die Ausstellung aber auch kontinuierlich nach dem Verhältnis des Betrachters zum Objekt. In einer zylinderförmigen Vitrine stehen kleine Metall- und Porzellanfiguren, Objektbeschriftungen können den Exponaten durch Drehen zugeordnet werden – „Araber mit Dudelsack“, „Jude mit Zedaka-Büchse“. Das klingt einfacher, als es ist: Ohne Text, merkt man schnell, kann man die Gegenstände kaum einordnen. Welche Beschreibung wirklich zu welcher Figur gehört, bleibt also meist offen. Ein angenehmer Nebeneffekt entsteht, wenn so plötzlich die Zuschreibung fehlt: Man schaut genauer hin.
„typisch! Klischees von Juden und Anderen“ Jüdisches Museum, bis 3. August