: Wissen wollen, „was ist“
betr.: „Sport oder Moral?“
„Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, ‚immer das laut zu sagen, was ist‘.“ Dieser Meinung Rosa Luxemburgs ist nichts hinzuzufügen. Man muss darum ringen, wissen zu wollen, „was ist“. Alle SportlerInnen müssen wissen, was sie tun.
Ich bin in Argentinien gefragt worden „Was ist in deinem Land gemacht worden – 1978 bei der WM, als wir in den Kerkern saßen?“ China ist keine Militärdiktatur, sondern ein kommunistisch regiertes Land, das uns in vielem fremd ist. Und China ist von wirtschaftlichem Interesse. Aber SportlerInnen können sich nicht aus der Politik heraushalten, genauso wenig wie Menschen anderer Berufsgruppen, wenn sie ernst und wahrgenommen werden wollen. Ich erwarte Fragen und Briefe nicht nur vom IOC, sondern von jedem und jeder, der oder die in offizieller Mission dieses herrliche und riesige Land bereist. Demokratie ist anstrengend. Die Bitte von Knut Henkel „Lasst uns Sport machen, wir haben so lange trainiert“ erinnert an nörgelnde Kinder. Es geht eben nicht nur um Einzelpersonen und deren Karrieren, sondern auch um Nationen – das ist Olympia!
Zusätzlich zum Training muss es öffentliche Diskussionen über China und Tibet und den Politiker Dalai Lama geben – in jedem Sportverein! Informationen von allen Seiten der Volksrepublik, Kontakte zu Menschenrechts- und Umweltgruppen und Informationen über eine andere Gesellschaftsform als die unsere! Vielleicht werden kreativere Lösungen als Boykott geboren. Sport und Moral – das wär’s doch. 1936 hatte die Spanische Republik in Barcelona zu Alternativen Spielen eingeladen. Der Vergleich hinkt und öffnet dennoch „Denkfenster“. Warum kein Nachfragen des IOC mit der Forderung, eigene Recherchen machen zu dürfen? Und warum kein Wirtschaftsmemorandum? Gegen Kuba wird ein Wirtschaftsboykott durchgehalten, ohne mit der Wimper zu zucken, und das seit fast 50 (fünfzig!) Jahren! MARIANNE LINK, Heidelberg