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Archiv-Artikel

„Kunst hat keinen Auftrag“

Berliner Schule? Kennwanich. Ambivalenz? Sicherlich. Der Gitarrist Stephan Szulzewsky über seine Band The Aim Of Design Is To Define Space und die dunkle Poesie ihres neuen Albums „Aimthusiasm“

Als The Aim Of Design Is To Define Space 2003 ihr erstes Album veröffentlichten, legte Bandmastermind Stephan Szulzewsky noch als DJ Ostdeutschland Platten auf, und die Band sprach davon, „als Sprachrohr der Berlin-Brandenburger-Deutschen die Jugend bilden und erziehen“ zu wollen. Dieser höhere Quatsch ist lange vorbei. Ihr neues Album „Aimthusiasm“ ist bei Haute Areal erschienen.

INTERVIEW RENÉ HAMANN

taz: Herr Szulzewsky, am 22. Februar erschien „Aimthusiasm“, euer drittes Album. Wieder ein englischer Titel für eine rein deutschsprachige Platte. Soll das Verwirrung stiften?

Stephan Szulzewsky: Wieso muss ein deutschsprachiges Album einen deutschen Titel haben? Hast du diese Frage auch Blumfeld gestellt, als „L’état et moi“ erschien? Wir haben im Vorfeld zum Albumrelease eine Episode einer fiktiven Sitcom gedreht, die sich stark an die vom ehemaligen Seinfeld-Autor Larry David initiierte Sendung „Curb Your Enthusiasm“ anlehnt. Enthusiasm, Aimthusiasm, kannst du folgen?

Der Presse gegenüber benehmt ihr euch gern mal ambivalent, unentschieden, unseriös oder komisch provokativ. Geht das nicht anders?

Ambivalenz? Sicherlich. Erst heute habe ich in der Elle meiner Freundin einen Artikel über Juliette Binoche gelesen: „Einmal ist sie schlechtgelaunt und ungeschminkt, und ein andermal gibt sie sich zart, mediterran und charmant lächelnd.“ Wer Künstlern kein außerordentliches Verhalten zugesteht, muss sich nicht wundern, dass wir in diesem Land keine oder nur sehr wenige herausragende Künstler haben. Ziemlich erstaunlich, mit welcher Kantenlosigkeits- und Unverfänglichkeitserwartung die Presse an Künstler herantritt, um aber gleichzeitig ein großes Kunstwerk zu fordern! Es geht ja hier nicht um Dimensionen wie bei Mariah Carey. Ein Interview ist für einen Künstler eine Möglichkeit, über seine Kunst zu sprechen; wenn er denn reflexionsfähig ist. Ansonsten ist ein Interview aber niemals seine eigentliche Aufgabe. Und so verwundert es nicht, dass künstlerische Persönlichkeiten die Zusammenarbeit mit der Presse extrem beschränken, wenn nicht ganz einstellen.

Kollege Hartmann hat euch in dieser Zeitung einmal „unausgegoren und ausgedacht“ genannt.

Wir finden es nach wie vor ziemlich naiv von Onkel Hartmann, einer jungen Band bei ihrem Debüt Unausgegorenheit vorzuwerfen. Die einzige Band, die bei ihrem Debüt „ausgegoren“ klang, war meines Erachtens Guns’n’Roses.

Von R.O.T., dem Label von Mia., habt ihr euch nach der ersten Platte abgewandt. Nach einer Zwischenstation seid ihr jetzt auf dem sympathischen, aber kleinen Label Haute Areal gelandet. Welche Absicht stand dahinter?

Hast du schon mal versucht, heutzutage eine Platte zu veröffentlichen? Es ist ein Wunder, dass es überhaupt noch Bands gibt, die bis zum dritten Album kommen. Kennst du den Scorsese-Film über Bob Dylan, „No Direction Home“? Was antwortet Dylan auf die Frage nach seinen frühen Knebelverträgen? „Ich hätte alles unterschrieben, um Platten veröffentlichen zu können.“ Im Übrigen sind wir sehr glücklich mit Haute Areal.

Deutschsprachige Bands kann man schnell auseinanderhalten. Entweder, die Texte sind bemüht poetisch oder sehr diskursiv. Wo seht ihr euch da?

Stimmt, man kann sie leicht auseinanderhalten. Es gibt die Rummelbands, es gibt die naiven. Es gibt die, die denken, sie sind schlauer, das sind die Allerschlimmsten. Dann die nostalgisch/eskapistischen. Und dann gibt es uns. Uns und Herbert Grönemeyer. Interessieren tut uns das alles aber nicht.

Musikalisch erinnert die Platte sehr an die 80er-Jahre, nur dass es damals keine Bands gab, die diese Art von Musik mit deutschen Texten gemacht hat. Wollt ihr da nachträglich eine Lücke füllen oder ist das zu retrospektiv gedacht?

Wir wollen überhaupt keine Lücke füllen. Im Gegenteil. Unsere Arbeit kommt uns sehr natürlich vor, also in keinster Weise kalkuliert oder berechnend. Und ich stimme auch zu, dass sich ganz konkret keine Gruppe zum Vergleich eignet. Die Herangehensweise, sich frei und undogmatisch Hilfs- und Stilmitteln zu bedienen und Einflüssen zu öffnen, haben wir mit Sicherheit nicht erfunden. Denn es gab schon mal so eine Gruppe, die hieß, äh, The Beatles.

Das Album ist von Ernsthaftigkeit getragen. Überhaupt ist „getragen“ ein gutes Wort: Es herrschen Molltöne, dunkle Metaphern, unkonkrete Stimmungen, ohne dass es sich aufplustern müsste.

Oh Gott, endlich mal was Wohlgesinntes! Mit Dur-Akkorden kommt immer nur DJ Ötzi raus, vielleicht daher die Moll-Dominanz. Ich denke, für Aim ist die Zeit der wirklichen Tiefen gekommen. Je finsterer die Stimmung, desto besser. Dieses Jahr ist „No Country for Old Men“ Mainstream, vor zehn Jahren war es „Forrest Gump“, die Kultur hat sich verändert. Ohne Zweifel.

Es gibt viele schöne Zeilen in den Texten. „Du trägst in dir Trauer / du trägst in dir Glanz / Die Hälfte ist Arbeit / Die andere Tanz“ etwa. Anderes bleibt betont vage und dunkel. Wörter wie Zeit, Wut, Fluss, Schiff, Schatten usw. fallen. In „Im Osten nichts Neues“ oder „Nach falsch kommt richtig“ scheint ihr für einen ganzen Landstrich sprechen zu wollen.

Nein, wir wollen für keinen Landstrich sprechen. Kunst hat keinen Auftrag. Das wissen mittlerweile sogar wir. Es geht um Wut und Ohnmacht. Um Stille und Schönheit. Um Reflexion aus der Ruhesituation heraus.

Auf dem Infobogen zur Platte strunzt ihr mit vielen Referenzen. Von Luther bis Green Day.

Das Albuminfo haben wir verfasst, um den Kosmos, der uns beeinflusst, mit ein paar Koordinaten abzustecken. Es geht da wohlgemerkt um Einflüsse, nicht um Referenzen! Aus Martin Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott“ haben wir eine komplette Strophe übernommen, das ist also keine Koketterie.

Wie sehr verfolgt ihr, was um euch herum in der Musikszene speziell im Osten der Stadt passiert? Es gibt sehr viele junge Bands, die immer reifere Platten machen, Delbo, Klez.e usw. Ist das die Szene, in der ihr euch bewegt?

Da würde ich ganz gern mit Brecht antworten: „Es hat keinen Sinn, auf die Frage ‚Wie viel ist 2 mal 2?‘ eine originelle Antwort zu erwarten.“ Ganz offensichtlich sind wir nicht Teil dieser Szene. Es gibt allerdings andere Szenen in unserer Stadt, die wir sehr genau verfolgen. Einige junge Künstler wie MIT, The Fucking Truth oder The Interview sind sehr vielversprechend.

Könnt ihr mit dem Begriff „Berliner Schule“ etwas anfangen – euer Bandname wird ja nicht nur viel auf T-Shirts durch Mitte getragen, sondern auch oft unter diesem Schlagwort genannt?

Nein, damit können wir nichts anfangen, ich möchte fast schwören ihn sogar noch nie gehört zu haben. Ehrlich!

The Aim Of Design Is To Define Space spielen morgen im Magnet-Club