Interieur – Exterieur

Nacheinander präsentieren KünstlerInnen der 5. Berlin Biennale die KünstlerInnen, ArchitektInnen und DesignerInnen einer anderen Generation, deren Schaffen ihre eigene Arbeit besonders inspiriert hat. Den Anfang macht Nairy Baghramian mit den Spiegelobjekten der Designerin Janette Laverrière

VON SASKIA DRAXLER

Im Zentrum des rotundenförmigen Schinkelpavillons im Garten des Berliner Kronprinzenpalais hat die Künstlerin Nairy Baghramian die türkisfarbenen Wände des Wohnzimmers der Designerin Janette Laverrière rekonstruiert. An den Innen- und Außenwänden des modellhaften Aufbaus sind obskur gestaltete Spiegel, sogenannte „évocations“ (Hervorrufungen) der Pariser Innenausstatterin angebracht, die zwischen 1936 und 2001 entstanden. Sie erfüllen nur bedingt die Funktion von Wandspiegeln. Als erzählerisch-widerspiegelndes Objekt wollen sie vor allem eine Hommage an Figuren der Geistesgeschichte sein, die Laverrière faszinierten, wie etwa Victor Hugo, Jean Cocteau oder die Anarchistin und Feministin Louise Michel. „La Commune – homage à Louise Michel“ (2001) weist Perforierungen ähnlich Einschusslöchern auf, die an den blutigen Aufstand der Pariser Kommune 1871 und an Louise Michel als eine der Schlüsselfiguren erinnern. Vielleicht stellvertretend für sie hat Laverière die Botschaft eines in Frankreich sehr bekannten Schlagers in dem aufklappbaren Spiegelobjekt zitiert: „Freunde, die Zeit der Kirschen wird kommen.“

Nairy Baghramians „La lampe dans l’horloge“ ist das erste Projekt im Vorfeld der 5. Berlin Biennale, während der verschiedene KünstlerInnen im Schinkelpavillon im zweiwöchigen Rhythmus Ausstellungen kuratieren. Es ist ein bemerkenswerter Auftakt, denn die Schau zeigt kein einziges Kunstwerk, sondern Design und behauptet sich als Kunstausstellung am ehesten durch das Konzept der Blickdramaturgie. Baghramian gelingt es, einen ständigen Wechsel zwischen Innen- und Außenansichten, zwischen Spiegelungen und Durchsichten zu inszenieren. Als Künstlerin geht sie hierfür ein Bündnis mit der Nachbardisziplin ein und bewegt sich ganz genau auf den Schnittstellen, die das Innen und Außen von Kunst und Design sowie von Interieur und Architektur konturieren.

Die beidseitig zugängliche dreistufige Sitzgelegenheit im Eingang der Installation könnte man daher als Gebrauchsskulptur bezeichnen. Auf ihr sitzen die Besucher Rücken an Rücken, den Blick entweder durch die Rundumverglasung des Pavillons nach außen auf das Panorama der Stadtarchitektur gerichtet oder aber in den Innenraum. Er ist Ausstellungs- und Wohnraumzitat zugleich und strahlt die Privatheit verallgemeinernde Intimität eines Möbelmessestandes aus.

Hier ist auch Laverrières Bücherregal aus den frühen 80er-Jahren angebracht, drei pink und hellgrün gestrichene drehbare Kästen aus furniertem Holz, die an einer schwarzen Stange befestigt sind. In ihm findet sich eine Art Grundausstattung der emanzipierten Französin aus dem Pariser Intellektuellenmilieu: französische Philosophie, der amerikanische Romancier Henri James oder die Schriften Gertrude Steins und Oscar Wildes.

Janette Laverrière, 1909 in Lausanne geboren, ging nach ihrem Abschluss an der Kunstgewerbeschule Basel nach Paris, wo sie zunächst für Jacques-Émile Ruhlmann arbeitet, ein internationaler Designer-Star und in den 20er-Jahren der wohl bestbezahlte Möbelentwerfer. Später ist sie Mitarbeiterin von Maurice Pré, der ihr Ehemann wird. Nach ihrer Scheidung 1945 macht sie sich selbstständig und entwirft bis heute ihr eigenes innovatives und teures Möbeldesign. Ihre größten Projekte waren die Ausstattung des Präsidentenpalais in Niamey und das Schweizer Krankenhaus in Paris. Erst kürzlich kaufte das Centre Pompidou für seine Sammlung einen hängenden Sekretär von 1952, dessen funktionale Schlichtheit und alluminiumverstärkte Außenkanten an Jean Prouvé denken lassen.

Einigermaßen bekannt dürften auch ihr traumhaft schöner tiefer Travertintisch auf einem y-förmigen Mahagonifuß von 1953 sein und ihr eleganter dreiteiliger Coffee table „Nénuphar“ aus den 60er-Jahren. Doch Anders als bei ihren prominenten männlichen Kollegen wie etwa Jean Prouvé, dem zurzeit von London bis Miami eine neue Welle weltweiter Anerkennung zuteil wird und dessen technisch-konstruktive Möbel als sehr teure Sammlerstücke gehandelt werden, sind die Designklassiker Janette Laverrières nur einem kleinen Kreis von Kennern vertraut.

„La Lampe dans L’Horloge“ ist der Titel einer Schrift von André Breton von1948, in der er für ein neues Denken eintritt, das einen strengen Rationalismus ablehnt und das die Leistung von Kunst und Literatur in ihrer Fähigkeit sieht, ihn zu transzendieren. In Interviews zeigt Laverrière dementsprechend einerseits eine kompromisslos politisch motivierte Haltung, andererseits bleibt sie hermetisch und weist rationale Begründungen ihrer Arbeiten zurück. Diese Haltung dürfte ihrer Marktkompatibilität als Designerin im Wege gestanden haben.

Bis 6. April, Schinkelpavillon, Berlin; bis 16. Juni, „When things cast no shadow“