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Archiv-Artikel

„Der“ Geringverdiener = „die“ Frau

betr.: „Reich sein lohnt sich“, taz vom 18. 3. 08

In der Einschätzung von Arm und Reich ist Ulrike Herrmann dem Bezugsrahmen „Soziale Marktwirtschaft“ treu geblieben, den die Soziologin Jutta Allmendinger ihrer Befragung zugrunde gelegt hat. Aus der Sicht der feministischen Ökonomin bleiben dabei Entwicklungen außer Betracht, die ein wesentlich differenzierteres Bild der Verwerfungen ergeben, die zu wachsender Armut führen.

Es empfiehlt sich, im umfangreichen Schrifttum der Väter unserer Wirtschaftsweise zu schmökern, um den von den beiden Kolleginnen beklagten Skandal nicht nur zu fühlen, sondern besser zu verstehen. Der Boom der (west)deutschen Marktwirtschaft nährte sich über Jahrzehnte vom fast unstillbaren Nachkriegsbedarf an Gebrauchsgütern und der unbezahlten Dienstbarkeit eines Heers von Hausfrauen. Deren Lust auf eigenes Einkommen wurde mittels Familienrecht und Ehegattensplitting kurz und klein gehalten. Im globalisierten Markt ist ihre Erwerbstätigkeit nicht nur erwünscht, sondern dank schrumpfender Unterhaltsleistungen aus der Familie unabdingbar. Geblieben sind das geringe Ansehen, die geringe Bezahlung und die schlechten Arbeitsbedingungen von bezahlter Frauenarbeit. „Der Geringverdiener“ ist meist eine Frau, die obendrein unbezahlt Familienarbeit leistet.

Armut und Reichtum in der Industriegesellschaft haben sehr viel zu tun mit dem ungeklärten Verhältnis von produktiver und unproduktiver Arbeit und dem ebenfalls ungeklärten Verhältnis von Ökonomie und Familie. Ganz zu schweigen von der leidigen Frage des Geschlechterverhältnisses. ELISABETH STIEFEL, Köln