Hier komponiert der Hörer mit

Von St. Louis an die Spree und in regelmäßigen Abständen zurück: Der House-Produzent Butane arbeitet in Berlin und lebt in Amerika. Nun ist sein Debütalbum „Becoming“ erschienen, reduzierter Minimal House, mit viel Platz zwischen den Sounds

VON TIM CASPAR BOEHME

Er sei eine „wandernde Seele auf dem Planeten“, sagt Butane von sich. Wirklich rastlos wirkt der DJ, Produzent und Betreiber des Labels Alphahouse, jedoch nicht, eher gesammelt und entspannt. Vermutlich ist das bei seinem Pensum auch nötig. Nach eigenen Angaben arbeitet er täglich zwölf Stunden.

Das mit der wandernden Seele nimmt man ihm aber umso mehr ab, wenn er von seinem Lebensrhythmus erzählt. Seit einem guten Jahr hat der aus St. Louis stammende Musiker Andrew Rasse seine Heimatstadt verlassen, um in Berlin zu wohnen und zu arbeiten. So ganz den Rücken kehren mochte er seiner Heimat jedoch nicht. „Ich verbringe drei bis vier Monate im Jahr in den USA. Das brauche ich, um ausgeglichen zu bleiben. Drei Monate arbeite ich in Berlin, dann gehe ich für einen Monat nach Amerika und verbringe dort die meiste Zeit mit meinen Freunden.“ Freunde in Berlin hat Andrew Rasse natürlich auch.

Bevor er auf den Gedanken kam, in die Hauptstadt zu ziehen, kannte er dort schon viele dutzend Menschen, sagt er. „Berlin hat ein integriertes Techno-Support-System, was es einem sehr einfach macht, hierher zu kommen. Und alle sprechen Englisch, das ist sehr hilfreich, wenn man wie ich kein Deutsch kann.“ Für seinen Umzug waren vor allem ökonomische Überlegungen entscheidend. „St. Louis ist kein günstiger Ort für einen aufstrebenden Techno-Musiker. Das gilt im Grunde für die ganzen Vereinigten Staaten.“

So ging er nach Berlin, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen und sich vollständig dem Produzieren und der Labelarbeit zu widmen. Die Karriere des studierten Philosophen hatte im Herbst des Jahres 2004 begonnen. „Als ich aufs College ging, fing ich an, mich für elektronische Musik zu interessieren und Musik zu kaufen, zunächst House und Techno.“ Bald schon legte er bei College-Partys auf – und lernte vor seinem Publikum, wie man Platten mixt.

Das Label Alphahouse ging aus einer gleichnamigen Partyreihe hervor, die einmal im Monat in St. Louis stattfindet. „Die Idee der Alphahouse-Partys war: Alle kommen zusammen und stürzen dann für ein paar Tage völlig ab.“ Mit seinen Freunden in St. Louis fand Andrew Rasse genügend Gleichgesinnte, um aus der Idee eine Institution zu machen. Anderthalb Jahre nachdem die Alphahouse-Partys begonnen hatten, fing er an, als Butane zu produzieren. Seine ersten Tracks erschienen auf dem Netlabel Foundsound. Die nächsten beiden Jahre verbrachte er dann vollständig im Studio. Die ersten Veröffentlichungen von Alphahouse erschienen im Jahr 2005. „Mit jedem neuen Release wuchs in Europa das Interesse an meiner Musik, bis ich mich entschied, 2006 auf Tour in Europa zu gehen.

Sein Label finanziert Andrew Rasse mit seiner Arbeit als DJ. Mitarbeiter hat er keine. „Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass mein Label sich in absehbarer Zeit von selbst tragen wird. Alphahouse mache ich aus Leidenschaft.“ Mit seinen ersten 14 Veröffentlichungen konnte sich das Label als Adresse für reduzierten Minimalismus etablieren.

Mit „Becoming“ hat er nun sein Debütalbum vorgelegt, das zweite Album, das aus Alphahouse erscheint. Selbst für einen Minimalisten lässt Butane viel Raum zwischen den einzelnen Klängen, manche Elemente werden skelettartig präsentiert, so als habe er einen Basic Track einfach stehen lassen. „Wenn es gut läuft, höre ich beim Arbeiten an einem Stück an einer leeren Stelle eine kleine Melodie oder einen Rhythmus, die gar nicht im Stück vorkommen. Dieses Element kann ich hineinprogrammieren oder weglassen. Dazwischen versuche ich die richtige Balance zu finden.“ Das leicht Unfertige und Rohe seiner Produktionen ist also durchaus gewollt. „Ich versuche, in den Stücken etwas Raum zu lassen, so dass die Hörer es für sich interpretieren können.“ Der Hörer spielt eine wesentliche Rolle in Butanes Ästhetik, weshalb er die Interpretation für eine ebenso wichtige kreative Leistung hält wie die Komposition selbst. „Meine Musik ist nichts ohne die Leute, die sie hören.“

Seine Musik ist aber auch nichts ohne die Leute, die sie kaufen. Längst bedroht das Filesharing nicht mehr nur die Majorplattenfirmen. Spätestens seit dem Zusammenbruch des Münchner Independent-Vertriebs Hausmusik vor einigen Monaten häufen sich auch die Klagen der Kleinen, und sie sind besonders dort gerechtfertigt, wo mit dem Produzieren von Musik praktisch kein Geld verdient wird. Butane hat das am eigenen Leib zu spüren bekommen: Einen Monat vor der offiziellen Veröffentlichung seines Albums als Download gab es das Album bei der Tauschbörse Soulseek. Wie Andrew Rasse an den Dateien erkennen konnte, hatte ein Journalist eine Promo-CD ins Netz gestellt, wofür er – zu Recht – wenig Verständnis hat: „ Ich habe kein Problem damit, wenn Leute, die sonst nicht an meine Musik kämen, sie aus dem Netz herunterladen. In Südamerika, Osteuropa oder Russland haben die Leute wenig Zugang zu Vinyl, weil der Versand so teuer ist, oder sie haben keine Kreditkarte für ein legales Downloadportal wie beatport. Ich habe jedoch ein Problem damit, wenn das Album vier Wochen vor dem Verkaufstermin zugänglich ist, also bevor die Leute, die es sich leisten könnten, es überhaupt kaufen können.“

Nicht nur, dass die Promotion-Industrie damit an ihr Ende kommen könnte – vor allem für die Musiker ist diese Entwicklung längst eine reale Bedrohung. „Damit die Musik sich weiter entwickeln kann, müssen die Leute sich ihr ganz und gar widmen können. Wenn ich meine Musik nur nebenbei gemacht hätte, wäre ich nicht dort, wo ich heute bin.“ Butanes Botschaft an die Tauschbörsen-Bewegung lautet daher: „Wenn man Qualität will, muss man auch dafür bezahlen.“

Butane „Becoming“ (Alphahouse)