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Archiv-Artikel

Strategien der Gewerkschaften

Die Frage streiken oder nicht streiken stellt sich für die Gewerkschaft Ver.di als ein schwieriger Spagat dar

Ver.dis Problem: Die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes genießen nicht per se die Sympathien

POTSDAM taz ■ Ver.di hat ein Problem: Einerseits muss die Gewerkschaft Druck auf die Arbeitgeber ausüben, andererseits darf sie die Kunden des öffentlichen Dienstes nicht verschrecken.

Die Lokführer waren in einer vergleichsweise komfortablen Situation: Dem ungeliebten Bahnchef Hartmut Mehdorn wollten viele schon immer eins auswischen, und hohe Lohnforderungen fanden in der Bevölkerung Sympathie. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hat hingegen ein Problem: Die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes genießen nicht per se die Sympathien der Bevölkerung – und so muss Ver.di lavieren. Die Gewerkschaft muss mit einem Streik die Arbeitgeber treffen, andererseits darf sie die vom Streik Betroffenen – die Bürger – nicht zu sehr in Mitleidenschaft ziehen.

Wenn gestreikt wird, sparen zudem die öffentlichen Arbeitgeber Kosten – etwa für Lohn und Energie. Mitunter kann die Nichterbringung öffentlicher Dienstleistungen, betriebswirtschaftlich betrachtet, gar günstiger sein als ihre Erbringung. Wenn der Kindergarten geschlossen bleibt, stört das die Eltern, aber nicht unbedingt den Bürgermeister der Kommune. Das Gleiche gilt für die Müllabfuhr, Ämter, sogar für den Nahverkehr.

Wirksam sind Streiks im öffentlichen Dienst dort, wo sie mit geringem Aufwand hohen wirtschaftlichen Schaden für indirekt betroffene Unternehmen bedeuten. Die Lokführer haben das mit ihrem Streik im Güterverkehr deutlich gemacht. Ähnlich wirksam wäre es, wenn Ver.di nun die Wachschützer und das Bodenpersonal auf Flughäfen in den Ausstand schickt. Um Privatkunden zu schonen und die für die Branche lukrativen Firmenkunden zu treffen, könnten insbesondere der Luftfrachtverkehr und die Geschäftsreisenden, die überwiegend zu bestimmten Zeiten auf bestimmten Flughäfen einchecken, ins Visier genommen werden.

Allerdings läuft Ver.di die Zeit davon. Diese Tarifrunde ist vermutlich die vorläufig letzte, die vor dem Hintergrund sprudelnder Steuereinnahmen stattfindet. Die US-Immobilienkrise kann sich auch auf die Steuereinnahmen in Deutschland noch auswirken. Es gäbe dann weniger zu verteilen.

RICHARD ROTHER