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Archiv-Artikel

Im Windschatten der Medien

Thomas Demand fotografiert Orte und Räume, die er vorweg mit Schere und Papier gebaut hat – und betreibt damit überzeugend Medienkritik. In Hamburgs „Galerie der Gegenwart“ ist jetzt erstmals eine Schau mit Werken aus den letzten fünf Jahren des international gefeierten Künstlers zu sehen

VON MAXIMILIAN PROBST

Zu hundertausenden fallen Blätter von den Bäumen, wo wir auch gehen und stehen. Flugzeuge krachen dagegen nur äußerst selten in Hochhäuser und wenn einmal, sind die wenigsten von uns gerade zugegen. Trotzdem dürfte bei den meisten von uns das Bild, wie ein Flugzeug in ein Hochhaus kracht, präziser sein als das, wie ein Blatt vom Baum fällt. Der Grund liegt darin, dass wir die Welt durchs Auge der Medien sehen und dass die Medien sich eben gerade mehr für Flugzeuge interessieren als für Blätter die im Winde flattern.

Für Thomas Demand ist der Gedanke einer medial vermittelten Wirklichkeit Ausgangspunkt seiner Arbeiten. Er konfrontiert uns mit Räumen und Szenerien, die uns durch Zeitung oder Fernsehen bereits vertraut sind. Warhol hat das schon früher gemacht, aber in Unterschied zu dessen Siebdrucken erkennt man bei Demand den Eingriff der Kunst ins mediale Bild nicht auf den ersten, sondern auf den zweiten Blick: Demands Bilder sehen dem, was wir Wirklichkeit nennen, zum Verwechseln ähnlich.

In der am 4. April eröffnenden Ausstellung Demands in der Hamburger Kunsthalle, hängt ein Bild der nigerischen Botschaft in Rom, von Blattwerk gerahmt. Flüchtig betrachtet: Wer würde daran zweifeln, dass hier Demand das Gebäude aus dem Gebüsch heraus fotografiert habe? Tatsächlich handelt es sich aber um einen Nachbau des Gebäudes aus Papier. Auch die Blätter, die Fahne: Papier. Was wir sehen, ist ein Modell, ein Schein von Wirklichkeit: deren Verdoppelung, und auch die sehen wir nicht wirklich, sondern noch mal verdoppelt, als Foto.

Das Verwirrspiel um die nigerische Botschaft ist damit aber noch nicht ans Ende gelangt: Aus dem Gebäude wurden 2001 in einem fingierten Einbruch gefälschte Dokumente entwendet, die dem amerikanischen Geheimdienst und George W. Bush zur Legitimierung des Irakkriegs dienten. Demand schlüpft damit in die Rolle des Enthüllungsjournalisten. Weitere Bilder der „Embassy“-Serie zeigen die Innenräume der Botschaft, geschlossenen Türen, Schreibtische, auf denen sich Papier stapelt, Flure: der nach der Tat verlassene Ort.

Ähnlich liegt der Fall der Fotoreihe „Klause“, die den Pascal-Prozess um den nicht aufgeklärten Mord an einem Jungen im Saarbrückender Stadtteil Burbach aufgreift. Hier spielt Demand den Boulevardjournalisten, etwa wenn er bis in die Küche des Lokals vordringt, in dem das Verbrechen, so die Mutmaßung, von einer Kinderschänderbande verübt wurde.

Die Küche, die uns Demand zeigt, meint jeder schon mal gesehen zu haben, weil es sie tausendfach gibt: eine Standard-Einbauküche. Aber das Licht, in das der Künstler sein Papiermodell taucht, lässt sie von Anfang an unheimlich erscheinen. Im Helldunkel stoßen sich die Dinge scharfkantig ab. Alles steht klar unterschieden an seinem Platz. Auf der Ablage steht ein Brotkorb, die Jedermann-Kaffeemaschine, der altbekannte gelbe Aschenbecher. Normal. Aber im peniblen Ordnungsgefüge der Küche gemahnen sie an die Banalität des Bösen.

Grausiger sind am Ort des möglichen Verbrechens nur noch die Schokoriegel im Regal, Duplos, wie man an der Form erkennt. Unvermeidlich muss der Betrachter daran denken, dass diese Kinderriegel als Lockmittel bei Pascals Entführung eine Rolle gespielt haben könnten.

In keiner von Demands Fotomodellwelten tauchen Menschen oder Schriftzeichen auf. Trotzdem oder gerade deshalb lassen sich Demands Bilder wie ein Buch über menschliche Schicksale lesen.

Das ist nicht der einzige Gegensatz, den Demand mit seiner Kunst fixiert. In seinen Bildern kontrastiert er die unendliche Mühe und Kleinteiligkeit des Modellbaus mit der sekundenschnellen fotografischen Ablichtung. Oder man denke an die Welten, die gemeinhin zwischen der Bastelei des Kindes mit Schere und Papier und der technisierten Hochglanzfotografie liegen: Demand gelingt es mit seinen Arbeiten, sie so mühelos wie überraschend zu vereinen.

Vielleicht werden diese Aspekte im Werk von Thomas Demand einmal sehr viel wichtiger sein, als die analytische Schärfe seiner Medienkritik. Denn es ist absehbar, dass sich der Schauder des Wirklichen, der uns, die wir die Geschichten hinter den Bildern kennen, noch befällt, sich einmal ganz verflüchtigt haben wird. Und wird sich dann Demands Kunst, die jetzt wie keine andere auf der Höhe der Zeit ist, vielleicht als Papiertiger erweisen, dessen Klaue nicht reißt?