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Archiv-Artikel

Der Flüchtling zwischen Ost und West

Sieben Jahre lang hielt es die Familie von Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer in der thüringischen Kleinstadt Rudolstadt aus. Dann entschloss sich der Schulbeauftragte der evangelischen Kirche zum Rückzug. Die Familie ertrug die ständigen rassistischen Anfeindungen nicht mehr, die sie dort zu erdulden hatte. Der Anlass für diese Hetze: Miriam Neuschäfer und ihre fünf Kinder haben schwarze Haare und eine dunklere Hautfarbe als andere Menschen in Thüringen, denn ihre Mutter stammt aus Indien.

„So was hat man früher zwangssterilisiert“, sei ihr ins Gesicht gesagt worden, berichtet die 32-Jährige. Eines der Kinder erkundigte sich zu Hause: „Mama, was ist ein Nigger?“, weil es so genannt worden war. Der älteste Sohn Jannik Jonas wurde in der Schule verprügelt. Seine Frau sei in manchen Geschäften nicht bedient, gar auf der Straße bespuckt worden, erzählt der gebürtige Kölner Neuschäfer. Er selbst war wenigstens beruflich integriert. Doch für seine Frau und die Kinder wurden die Isolation und die Anfeindungen so unerträglich, dass die Familie schon im September 2007 ihren Hauptwohnsitz nach Nordrhein-Westfalen verlegte. Der 40-Jährige pendelt seither 430 Kilometer zu seinem Arbeitsplatz.

Dass Menschen sich im eigenen Land auf die Flucht machen müssten, kenne man eigentlich nur aus nichtdemokratischen Ländern, mahnt der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy, der die Geschichte der Neuschäfers publik machte. Sein Vater stammt auch aus Indien. Die evangelische Landeskirche reagiert zurückhaltend: Die Familie Neuschäfer habe in Rudolstadt „Schwierigkeiten auch mit ausländerfeindlichem Hintergrund“ gehabt. Gegen die pauschale Darstellung Ostdeutschlands als fremdenfeindlich verwahre man sich. Ein Angebot für eine Pfarrstelle an der Grenze zu Hessen habe Neuschäfer ausgeschlagen.

Dem Bekanntwerden des Rückzugs der Neuschäfers ging eine interne Kontroverse voraus. Anlass war ein Text des Pfarrers für die Kirchenzeitung, in dem er feststellt, dass Fremdenfeindlichkeit im Osten keineswegs die Rechtsradikalen gepachtet haben: „Eine ebenso unheimliche wie unterschwellige Feindlichkeit gegenüber Fremdem gibt es bei uns in Ostdeutschland sowohl bei ‚den‘ Rechten als auch bei ‚den‘ Linken“, schrieb Reiner Andreas Neuschäfer.

Rudolstadts parteiloser Bürgermeister Jörg Reichl erklärte, es werde manches übertrieben: „Hier herrscht keine Ausländerfeindlichkeit.“ Auch wenn es seine Lage weiter zuspitzt, freut sich Neuschäfer deshalb über das Interesse der Medien, denn: „Das Problem mit der Xenophobie im Osten ist doch, dass nicht darüber geredet wird.“

ALKE WIERTH