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Archiv-Artikel

Wenn die Tochter Kopftuch trägt

Von einer Frau, die sich aus freien Stücken für ein streng gläubiges Leben an der Seite ihres Ehemanns entschied: Heute wird die Bremer Dokumentation „Luise – eine deutsche Muslima“, die als exemplarisch gelten kann, mit dem Adolf-Grimme Preis geehrt

Beim Wettbewerb um die Adolf Grimme Preise ist dies für den NDR kein gutes Jahr. Der Großteil der Preise wird zwar wie gewohnt an Produktionen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten verliehen, aber diesmal kamen die meisten davon vom ZDF, und die Norddeutschen mussten sich mit einer Prämierung begnügen, die er sich dazu auch noch mit dem WDR und Arte teilen muss. Gedreht und produziert wurde die ausgezeichnete Dokumentation „Luise – eine deutsche Muslima“ aber in Bremen.

Die hier ansässige Filmemacherin Beatrix Schwehm porträtiert in ihrer 52 Minuten langen Dokumentation eine Familie, in der die in unserer Gesellschaft aktuellen Spannungen zwischen verschiedenen Kulturen und Lebensentwürfen am Küchentisch ausgetragen werden. Luise, die Tochter der Bremer Eventmanagerin Rita F., hat mit 19 Jahren den algerischen Informatikstudenten Mohamed B. geheiratet und im Laufe der Zeit dessen islamischen Glauben in einer ziemlich strengen Ausprägung angenommen. Die 25-Jährige trägt inzwischen nicht nur ein Kopftuch, sondern auch den dunkelblauen Hijaab, der ihren ganzen Körper verhüllt. Mit ihrem Mann und einem kleinen Kind lebt sie zusammen mit ihrer emanzipierten Mutter und deren Lebenspartner, dem stadtbekannten Theatermacher Mateng P.

Die Familienverhältnisse wirken wie eine Versuchsanordnung, bei der das Persönliche und das Politische verschmolzen scheinen. Das Exemplarische dieser Geschichte ist es wohl auch, das die eher bescheidenen Produktion, die im November spätabends erstmals auf Arte gezeigt wurde, von Anfang an große Resonanz bescherte. Der Zuspruch und das Interesse waren immens, aber dies lag sicher auch an der besonderen Machart des Films. Beatrix Schwehm gibt allen Familienmitgliedern gleich viel Raum, um ihre Positionen darzustellen. So wird der Zuschauer zwar zuerst den Standpunkt der Mutter nachvollziehen können, deren Kind sich vor ihren Augen in eine Fremde entwickelte, was natürlich große Irritationen und Ängste auslöste. Doch später bekommt auch Luise klarere Konturen, und man muss ihr schließlich glauben, dass sie sich selbst für das streng religiöse Leben entschied, und dass sie dies nicht als Beschränkung, sondern als Befreiung sieht.

Die große Qualität des Films besteht darin, dass es ihm gelingt, einfühlsam und klug allen Seiten gerecht zu werden. Der große Zuspruch des Publikums erklärt sich aber auch daraus, dass der Film nicht nur, wie üblich, von der Bremer Produktionsfirma trifilm für den Grimme-Preis eingereicht wurde, sondern unabhängig davon auch von einem Zuschauer. Denn jeder kann beim Grimme-Institut eine Sendung, die ihm gefallen hat, vorschlagen, sodass dort pro Jahr 500 bis 600 verschiedene Produktionen gesichtet werden müssen, bis eine Art Shortlist mit etwa 50 nominierten Arbeiten von verschiedenen Jurys genauer begutachtet werden. „Luise“ gewann in der Kategorie „Information und Kultur“ neben so erfolgreichen Filmen wie „Unser täglich Brot“ und „Monks, the transatlantic feedback“, die auch im Kino zu sehen waren.

Beatrix Schwehm hat sich mit ähnlich sensiblen Dokumentationen über unbequeme Themen schon vorher einen Namen gemacht. So debütierte sie 1993 mit dem Kurzfilm „Mit brennender Vernunft“, in dem sie das Phänomen mordender Frauen assoziativ und dokumentarisch behandelte. 1999 entstand ihr Film „Die Kinder von Bulldogsbank“, der von deutsch-jüdischen Waisenkindern erzählt, die Theresienstadt überlebten und 1945 in ein Kinderheim in England gebracht wurden, und der mit dem Bremer Dokumentarförderpreis und dem Prädikat „Besonders wertvoll“ ausgezeichnet wurde. Die taz-Kritik vermerkte damals, dass sich in ihrer Arbeit, bei der sie etwa darauf verzichtete, weinende Menschen in Nahaufnahmen auszustellen, „das Stilistische mit dem Moralischen trifft“. Dieser Satz bringt ihre Qualitäten vielleicht am besten auf den Punkt: Mit ihren filmischen Einstellungen bezieht die Regisseurin immer auch Stellung. Dies tat sie im Jahr 2006 wieder in ihrem bisher ambitioniertesten Film „Vom Schaukeln der Dinge“, in dem sie das einfühlsame Porträt des an Parkinson erkrankten Schauspielers Rudolf Höhn zu einer thematisch reichen Palette auffächerte. „Der Film erzählt von der Krankheit, vom Theater, von der Literatur und vom Rugby – eigentlich müsste er heillos überladen sein. Aber er wirkt wie aus einem Guss, weil Schwehm bei der Montage einer emotionalen Logik folgt und so die vielen Facetten von Höhn erstaunlich unangestrengt unter einen Hut bekommt“, so damals die taz. WILFRIED HIPPEN

Die Preisverleihung wird heute ab 22.25 Uhr auf 3sat übertragen.