Der Pop auf Weltreise

Andreas Neumeister hat keine Reizüberflutung gescheut – überall war er für sein Buch „Könnte Köln sein“

VON SUSANNE MESSMER

Volle dreizehn Jahre ist es nun schon her, dass Christian Krachts Romandebüt „Faserland“ erschien. Es schob damals die Gestaltung einer Etikette an, die es zuließ, dass es auch in Deutschland in der hohen Literatur ums Jungsein gehen durfte, um die „wirkliche Wirklichkeit“, „das Ganze der Gegenwart“, um vermeintlich banale Alltagsprotokolle, Beschreibung populärer Kultur, von Fernsehen, Mode und Musik. Viel Zeit ist seitdem verflogen; Christian Kracht und seine Clique sind in abwegige Länder, Religionen oder Bürgerlichkeiten geflüchtet, andere sind ganz von der Bildfläche verschwunden – aber ein paar, denen es schon immer wurst war, ob die Popliteratur nun gerade zum Trend erhoben oder zu Grabe getragen wird, haben einfach weitergemacht.

Einer dieser Hartnäckigen ist Andreas Neumeister, der gegen Ende des vergangenen Jahrtausends, als sein zweites Buch, „Gut laut“, erschien, mit Thomas Meinecke und Rainald Goetz in die Ecke „Suhrkamp-Pop“ gesteckt wurde. Damals ging es um Pop und Alltag in den Siebziger- und Achtzigerjahren, in seinem nächsten Buch, „Angela Davis löscht ihre Website“, um die Mechanismen der Massenmedien, seitdem, seit sechs Jahren also, war mehr oder weniger Sendepause. Nun also endlich ein neuer Band mit dem schönen Titel „Könnte Köln sein“, ein Buch, das eher um Architektur und Stadtplanung kreist. Wer aber meint, Andreas Neumeister interessiere sich nun plötzlich um „erwachsene“ Themen, der täuscht sich sehr. Pop ist eben nicht nur dann Pop, wenn Popkultur verhandelt wird.

Schon das erste Durchblättern des Buches verrät: Andreas Neumeister ist stur bei dem geblieben, was er kann. Das wirkt – besonders da auch in der jungen deutschen Literatur der Trend zu geradlinig erzählten Geschichten mit starken Plots geht – zunächst wieder großartig erfrischend: Die diskontinuierlichen Faktencollagen aus Gefundenem, Gelesenem und Aufgeschnapptem, die Listen, Tabellen und Aufzählungen, Wiederholungen und Verschiebungen erlauben es, das Buch von hinten nach vorn oder mit großen Unterbrechungen zu lesen, die Gedanken vor, während und nach der Lektüre wild schweifen zu lassen und sich zu keinem Zeitpunkt belehrt zu fühlen.

Wie immer stellt sich Andreas Neumeister damit beherzt in die Tradition des Prinzips Zufall bei Dada, der Emphase der tastenden, probierenden Umgangssprache inklusive Stottern, Stammeln und Stöhnen und der rauschhaften Spontaneität in der Beat-Literatur, des Filmischen und Dokumentarischen bei Rolf Dieter Brinkmann und des Muts zur Lücke und zur grafischen Gestaltung in der konkreten Poesie – und obendrein knüpft er an Social Beat und Poetry Slam an, da seine rhythmisierten Texte an Refrains oder Loops in einem Song erinnern und immer besser klingen, wenn man sie laut liest oder vorgelesen bekommt. Der Kern des Ganzen: Andreas Neumeister war auf Reisen. In Rom, Berlin, München, New York, Frankfurt, Paris, Tallinn, Moskau, München, Los Angeles und Mexiko City. Er hat wie üblich neugierig bis naiv die Antennen ausgefahren, keine Strapazen der Entgrenzung und Reizüberflutung gescheut und seine Beobachtungen lose um Themen wie Ballungsräume, Hochhäuser, Waldsiedlungen und Parkplatzlandschaften gruppiert. Erhellend sind seine Betrachtungen, dass die faschistische Architektur in Rom ungleich moderner, manchmal sogar eleganter war als die in Berlin, dass der Wohnungsbau in Ostberlin, die Plattenbauten, womöglich wirklich demokratischer waren als der in Westdeutschland, dass die revolutionäre Architektur, die in Russland angedacht war, unter Stalin zur Zuckerbäckerarchitektur verkam und vielleicht heute eher noch in München zu spüren ist als in Moskau.

Nun wäre aber Andreas Neumeister nicht er selbst, hätte er es nur bei Erkenntnisgewinnen wie diesen belassen und wäre er nicht auch der Überzeugung treu geblieben, dass das Wissen der Popavantgarde gefährliches Halbwissen zu sein hat und dass eben auch frei nach Baudrillard die blanken, banalen Oberflächen zu spiegeln sind. So kommt es, dass „Könnte Köln sein“ manchmal nicht nur an Stellen anstrengend ist, wo der Text es auch sein möchte und so nur noch auf sich selbst verweist: bei den Wiederholungen entleerter Floskeln wie „kann man so sagen“ oder „bloß so eine Idee“ zum Beispiel. Er ist leider manchmal auch da ermüdend, wo er den Blick des Touristen einnimmt, der immer nur dieselben Fotos macht. Gibt es wirklich noch jemand, der wissen will, dass sich mitten in Los Angeles Ölfelder befinden oder dass Rom eine ewige Baustelle ist? Braucht es Informationen wie diese heute noch, im Zeitalter von Ryan Air und Easy Jet, in denen jeder schon überall gewesen ist?

An Stellen wie diesen kommt sogar manchmal Frustration auf, weil die Binnengeschichten, die echte Erzählungen hätten werden können, immer wieder abgebrochen werden. Die Geschichte von den Vögeln zum Beispiel, die sich an die Errungenschaften der Zivilisation gewöhnen oder auch nicht, oder auch die Geschichte vom Vater, der offenbar Bauleiter „bei olympiawichtigen Bauten“ war und vielleicht sogar die Inspiration für dieses Buch. Vielleicht „kann man so sagen“, „bloß so eine Idee“: Es ist schön, dass sich Andreas Neumeister wieder zu Wort gemeldet hat. Möglicherweise aber hätte er die reine Fülle der Fakten noch manischer sammeln, noch besser recherchieren sollen. Vermutlich hätten sie dann noch hellere Funken geschlagen.

Andreas Neumeister: „Könnte Köln sein“. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2008, 277 Seiten, 16,80 Euro