: Achtundsechzig 97
Christoph Schlingensiefs Hörspiel „Rocky Dutschke ’68“ von 1997 zeigt, dass heute banal wirkt, was 1997 noch eleganter war (WDR 3, 23.05 Uhr)
VON ANDREAS FANIZADEH
„Wir haben Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger – haben Durst“, singt die Kurkapelle. Darüber schmeichelt die Stimme des Talkmasters: „Guten Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich begrüße Sie zu Rocky Dutschke ’68.“ Es ist die Stimme von Christoph Schlingensief. Sein Hörspiel „Rocky Dutschke ’68“ wurde bereits 1997 mit dem Prix Futura ausgezeichnet, nun sendet es Radio WDR 3 im Rahmen des Schwerpunkts „Die 68er zwischen Mythos und Wahrheit“.
Es ist aufschlussreich, sich 2008 anzuhören, was Schlingensief vor zwölf Jahren im Theater produzierte und 1997 als phonetische Quintessenz fürs Radio zusammenschneiden ließ. Schlingensiefs „Rocky Dutschke ’68“ hatte im Mai 1996 an der Berliner Volksbühne Premiere, und volksbühnenerprobte Hörer werden die Stimme von Sophie Rois, Bernhard Schütz oder Astrid Meyerfeldt vertraut vorkommen. Und nicht nur die, sondern auch die heute etwas in die Jahre gekommene Methode der Berliner Volksbühne und eines ihrer damaligen Hausregisseure, mittels Drastik und Überhöhung (V-Effekt!!!) das Publikum zu überraschen und aus der Reserve zu locken. Doch was einmal als erfrischend und antiautoritär galt, wirkt heute eher ermüdend.
Manchmal weiß man nicht, was heute bemooster klingt: die einmontierten historischen Redefetzen eines Rudi Dutschke oder all die Einfälle von Regiemeister Schlingensief. „Kartoffelsuppe, wir kochen Kartoffelsuppe“, sagt eine Stimme, die Rudi Dutschkes Mutter in Luckenwalde charakterisieren soll. „Rudis Mutter war fix und fertig. Keine Vitamine, keine Mineralien in der DDR. Das Gehirn trocknet aus, und der so genannte Brecht-Stil entstand.“
Man kennt auch Schlingensiefs Wortwitz heute zur Genüge. „Die Redakteure haben sich sehr gut vorbereitet“, sagt Talkshow-Radiosprecher Schlingensief, „sie haben ein abgeschlossenes Studium.“ So richtig pointiert will das nicht (nicht mehr?) klingen. Ebenso wenig, dass Schlingensief im Hörspiel Redakteurin Kleinert im Studio symbolisch vergasen lässt.
Er arbeitete immer drastisch und plakativ, um gehört zu werden, und sein Spektakeltheater hatte seine unbestreitbaren Höhen, etwa die „Big Brother“-Satire in Wien, sein Einfall mit deutschen Neonazis auf der Züricher Schauspielbühne, „Tötet Kohl“, oder Massenbaden im Wolfgangsee. Doch vielleicht, so wirkt es heute, hat Schlingensief schon immer allzu sehr auf die einfachen Effekte mittels Negation und Aktionismus bei unverwüstlich erscheinender Frechheit seiner selbst vertraut.
Schlingensief ist ein guter Provokateur und hat sicherlich ein produktives Gespür dafür, Dinge zusammenzubringen, die nicht zusammengehören. Doch Dutschke, Biermann, die 68er auf der einen, die Stimmen des „Volks“ und der Spießer auf der anderen Seite – beide muss man 2008 nicht mehr „entzaubern“. Will Schlingensief auch nicht, sein Hörspiel ist ja elf Jahre alt. Es war aber auch 1997 schon banal.
Hörenswert ist die Sendung heute deshalb vor allem für Leute, die die Methode der narrativen Brechung und des assoziativen Sprechens nicht kennen oder die wissen wollen, was man vor zehn Jahren auf deutschsprachigen Bühnen für besonders radikal hielt. An der Soundspur des Hörspiels lässt sich überdies nachvollziehen, wie geschickt Schlingensief für die Dramatisierung Klang und (Film-)Musik einzusetzen versteht. Das daraus resultierende ästhetische Vergnügen entschädigt jedoch nicht für 49 Minuten politische Belanglosigkeit.