Wirtschaft will Kohle

Alles hängt am Kohlekraftwerk Moorburg: Die Hamburger Wirtschaft setzt die schwarz-grünen Koalitionsverhandler unter Druck. Vattenfall stellt der Stadt ein auf heute befristetes Ultimatum und droht mit Schadenersatzklage in Milliardenhöhe

Schon einmal war Hamburg Schauplatz einer Großdemonstration für ein Industrieprojekt. Am 6. Februar 2001 setzen mehr als 5.000 MitarbeiterInnen des Airbus-Werks Finkenwerder in Booten über die Elbe und zogen vom Hafen in die Innenstadt. Grund für die Kundgebung war der Konflikt um die Zuschüttung der Elbebucht Mühlenberger Loch für eine Erweiterung der Flugzeugwerft. Diese war Voraussetzung für die Beteiligung am Bau des Riesenfliegers A 380. Zu der Demonstration hatten die IG Metall Küste und der Airbus-Betriebsrat aufgerufen, Unterstützung kam aus allen norddeutschen Airbus-Werken, von der gesamten Hamburger Wirtschaft, den Springer-Medien und der CDU. Der damalige rot-grüne Senat war gespalten: Die SPD war dafür, die Grünen schwiegen. Der Aufmarsch war als Betriebsversammlung deklariert worden und somit bezahlte Arbeitszeit. Gegner sprachen von einer „Zwangsdemo von Abhängigen“. SMV

VON MARCO CARINI
UND SVEN-MICHAEL VEIT

Hamburgs Wirtschaft und der Energiekonzern Vattenfall erhöhen den Druck auf die schwarz-grünen Koalitionäre in spe, das geplante Kohlekraftwerk in Moorburg wie geplant abzusegnen. Am Rande einer Demonstration von Industriearbeitern und Gewerkschaftsvertretern auf dem Hamburger Spielbudenplatz kündigte Vattenfall-Vorstand Hans-Jürgen Cramer an, bereits kommenden Montag eine Untätigkeitsklage gegen die Stadt einzureichen, wenn diese nicht am heutigen Freitag den Kraftwerksbau genehmige.

Vattenfall habe, so Cramer, nach dem Bundesemissionsschutzgesetz „klipp und klar“ einen Rechtsanspruch auf die ausstehende Genehmigung, da der Konzern „alle umweltrechtlichen Genehmigungen erfüllt“ habe. Weitere Verzögerungen im Genehmigungsverfahren seien „nicht mehr verkraftbar.“

Zudem bestätigte Cramer gestern Berichte über eventuelle Schadensersatzforderungen des Konzerns an Hamburg. Das Unternehmen habe bislang 1,3 Milliarden Euro in das Projekt investiert oder für verbindliche Bestellungen eingeplant. Würde das Kraftwerk nun „aus politischen Gründen nicht gebaut“, würde Vattenfall genau diese Summe bei der Stadt einklagen.

Die Drohgebärde des Energieriesen droht die schwarz-grüne Koalition auf der Zielgerade ins Stolpern zu bringen. Die Grün-Alternative Liste (GAL) hatte sich schon vor Aufnahme der Koalitionsverhandlungen festgelegt, dass es mit ihr ein Kohlekraftwerk Moorburg mit einer Leistung von 1.640 Megawatt und entsprechendem Schadstoffausstoß nicht geben werde. Doch über die Rechtswirksamkeit der Vorverträge, die der CDU-Senat mit Vattenfall über den Kraftwerksbau bereits unterzeichnet hat, herrscht unter den Möchtegern-Koalitionären Uneinigkeit.

Während Cramer in Gesprächen mit den schwarz-grünen Verhandlern ausführlich darlegte, warum die Genehmigung bindend sei, legten die Grünen Rechtsexpertisen vor, die das genaue Gegenteil besagen. Hat sich die GAL in Sachen Moorburg einen Maulkorb verpasst, bezeichnete an ihrer Stelle der Chef des BUND, Hubert Weiger, die Cramer’sche Drohgebärde als „dreisten Erpressungsversuch, der jeder Grundlage“ entbehre.

In den Vereinbarungen mit der Stadt habe Vattenfall eine „Risikoübernahmeerklärung“ abgegeben. Danach sei das Unternehmen verpflichtet, den früheren Zustand des Baugeländes wieder herzustellen, falls die Genehmigungen versagt würden.

Die CDU ist damit in der Zwickmühle. „Der Bürgermeister könnte sich in den Hintern beißen, dass er vor der Wahl das Kraftwerk nicht wasserdicht eingetütet hat“, weiß ein führender Unions-Funktionär. „Dann wäre die Sache längst ausgestanden.“ Moorburg hängt am seidenen Faden“, sagt CDU-Wirtschaftsexperte Andreas Mattner. Und damit auch die Koalition.

Unterdessen verschärft die Hamburger Wirtschaft ihren Druck auf CDU und Grüne. Vor dem CDU-Wirtschaftsrat bezeichnete Frank Horch, Chef des Industrieverbandes Hamburg und Vizepräses der Hamburger Handelskammer eine Entscheidung gegen Moorburg als „schleichenden Weg“ zum Abbau von Arbeitsplätzen und der Vertreibung energieintensiver Unternehmen wie der Norddeutschen Affinerie oder Triment Aluminium. Das Kraftwerk Moorburg in der geplanten Größe sei „ohne Alternative für eine sichere und kostengünstige Energieversorgung.“

Auf der von Gewerkschaften und Betriebsräten organisierten Pro-Moorburg-Demo, an der neben Horch weitere 2.000 Kraftwerksbefürworter teinahmen, setzte Vattenfall-Betriebsrat Rainer Kruppa noch einen drauf, indem er den Verlust „tausender Arbeitsplätze“ prophezeite, wenn Moorburg nicht gebaut werde. Handelskammer-Präses Karl-Joachim Dreyer bezeichnet unterdessen den Verzicht auf Moorburg als „eine Katastrophe für Hamburgs energieintensive Industrieunternehmen.“

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