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Archiv-Artikel

Hotel im Berg

„Über den Wolken. In der Tiefe des Bergs. An der Quelle der Flüsse.“ – Dort soll das Hotel liegen. Die „postmoderne Klosterherberge“ La Claustra versteht sich als Ort der Reflexion und der Erkenntnis

Roh und luxuriös

300 Meter nördlich des Gotthard-Passes, 2.050 Meter über dem Meeresspiegel, auf dem Gebiet der Tessiner Gemeinde Airolo. 2 Autostunden von Zürich oder Milano. 4 Sterne, 9 EZ 125,00 €, 8 DZ 250,00 € inkl. Frühstück, HP (unbedingt zu empfehlen!) 155,00 € pro Person. Geöffnet in der Regel zwischen Anfang Mai und Ende Oktober. La Claustra, Tessin, Schweiz, (+41-91) 8 80 50 55, www.claustra.ch Regelmäßig finden im LaClaustra sehr unterhaltsame und nicht minder lehrreiche Tischrunden statt, die Tavolatas. Bei 6-gängigen köstlichen Abendmenüs untertage wird kommuniziert und geschlemmt. Für seine kulinarischen Hochgenüsse schickt Jean „Food-Scouts“ durchs ganze Land, die die erlesensten Zutaten und schmackhaftesten Weine für sein Hotel aufspüren. Entweder Jean selbst oder ein Experte erzählt bei den Tischrunden interessante Geschichten rund ums Thema. Inklusive einer Übernachtung 233,00 €

Dampfbahnerlebnis zur Eisgrotte im Rhonegletscher. Auf einer nostalgischen Fahrt in einer über 80 Jahre alten Dampflok kann man die bahntechnischen Pionierleistungen der Schweizer bewundern. Durch die grandiose Gebirgslandschaft der Alpen schnauft die historische Dampflokomotive mit ihren hübsch restaurierten Nostalgiewaggons vom Bergdorf Realp durch mehrere Tunnel, über Brücken und Viadukte den Berg hinan. Nach einer Pause zum Wasserladen erreicht sie nach 1 Stunde die Station Muttbach-Belvédère. Von hier aus führt ein Weg in rund 40 Minuten hinauf zum Hotel-Restaurant Belvédère und weiter zu einer Eisgrotte im Rhonegletscher. Der rund 100 m lange Eistunnel mit Eiskammer wird seit 1870 jedes Jahr neu in den Gletscher geschlagen. Warme Kleidung mitbringen. Das „Postauto“ fährt am Nachmittag ab Hotel Belvédère zurück nach Andermatt, von dort aus geht’s dann per Taxi zurück ins LaClaustra.

VON BETTINA KOWALEWSKI

Die Landschaft oben auf dem Sankt-Gotthard-Bergmassiv in 2.050 Meter Höhe wirkt wie ein geheimnisvollen, mythischen Ort: karg, extrem, dem Wetter preisgegeben. Nur die gewaltige Staumauer des Lago di Lucendro scheint den Naturgewalten trotzen zu wollen.

Der Eingang zum Hotel ist wenig mehr als ein Loch im Berg – kaum vorstellbar, dass sich dahinter ein gemütliches Hotel verbergen soll. Eine freundliche Stimme aus der Sprechanlage heißt mich eintreten, mit leisem Summen öffnet sich die rote Tür in einen schummrig beleuchteten Eingangsstollen, roh, dunkel, metallisch, feucht. Es tropft. Der Tunnelgang ist noch immer der aus dem im Zweiten Weltkrieg.

Auf dem Weg ins Innere des Berges sind mehrere schwere Eisentüren zu öffnen und, so fordern vergilbte Hinweisschilder im militärischen Ton, auch wieder hinter mir zu schließen. Mit jeder Tür lasse ich die Außenwelt weiter hinter mir zurück. Es ist, als überschreite ich Schwellen auf dem Weg in eine gut abgeschottete, innere Welt.

Nach 200 Metern schließlich erscheint am Ende des Gangs eine beschlagene Glastür. Dahinter leuchtet ein roter Teppich. Es gibt keine Rezeption, jeder Gast wird hier individuell in Empfang genommen. Jean Odermatt begrüßt mich, der Begründer von La Claustra. Hier in dieser geräumigen Felsenhalle herrscht eine offene, fast feierliche Atmosphäre. Ein kastenartiges Gebäude ragt aus dem Fels, das Restaurant, wie Jean mir erklärt. Davor eine Sitzgruppe, eine hohe Vase mit Lilien sowie farbige Lichtakzente auf dem Boden. Alle Elemente wirken bewusst sparsam platziert. Auch hier tropft es stetig, das Geräusch wirkt wie eine beruhigende esoterische Sound-Installation. Doch die Tropfen sind echt, tönerne Amphoren fangen sie auf. Über uns befindet sich ein See, ein Reservoir mit 45.000 Litern Trinkwasser, gespeist aus fünf Quellen.

Hier tropft es stetig, das Geräusch wirkt wie eine beruhigende esoterische Sound-Installation. Doch die Tropfen sind echt

La Claustra befindet sich in einem etwa 4.000 Quadratmeter großen unterirdischen Terrain mitten im Gotthardmassiv. Im Zweiten Weltkrieg und noch bis 1995 beherbergte es als geheime Artilleriefestung San Carlo rund 300 Soldaten zur Verteidigung der Passstraße. Die militärischen Anlagen sind inzwischen aus- und umgebaut, die Kanonen durch ein Teleskop ersetzt. Heute verfolgt die Anlage im Fels einen ganz und gar gegenteiligen Zweck: den der Kommunikation.

Jean Odermatt, Künstler, Soziologe und Initiator von La Claustra: „Was mich interessiert, sind die Metamorphosen. Wie verändern sich die Wolken, das Wetter, wie verändert sich ursprüngliche Sicherheitsarchitektur, ein Militärbunker, in ein Kommunikationszentrum. La Claustra ist für mich ein Gefäß, in dem Prozesse zwischen den Menschen stattfinden. Angelegt als eine ‚postmoderne Klosterherberge‘ versteht sich La Claustra als ein Ort der Reflexion und Erkenntnis, aber auch der Begegnung. Gäste aus verschiedenen Sparten, Wissenschaftler, Manager, Handwerker, Künstler, Touristen, sollen sich hier austauschen.“

Jean führt mich auf Holzstegen mit rotem Teppich unter einem weißen Leinentuchbaldachin, der die Tropfen auffängt, zu meinem Zimmer. In den Gängen plänkelt leise Meditationsmusik, die sich mit den Tropfgeräuschen vermischt. Es ist, als bewegten wir uns durch ein feuchtes Höhlenlabyrinth. Von den Felswänden rinnt Wasser, das sich unten in schmalen Kanälen sammelt, wie in Adern des Bergs. Strahler setzen Lichtpunkte und akzentuieren die Strukturen von Wasser und Fels. Modernste Energietechnik klimatisiert den Berg und sorgt für angenehme und trotz der steten Tropfen „trockene“ 20 Grad.

JEAN ODERMATT, Künstler, Soziologe und Initiator von La Claustra. „Was mich interessiert, sind die Metamorphosen. Wie verändern sich die Wolken, das Wetter, wie verändert sich ursprüngliche Sicherheitsarchitektur, ein Miltiätbunker in ein Kommunikationszentrum.“

Jedes Zimmer trägt den Namen einer Horizontlinie der Alpen: Sambuco, Lucendro, Rotondo, Wilder Mann. Ich wohne im „Leventina“. Tische, Bett und Stühle sind aus Ulmenholz, der Fußboden aus heller Lärche gefertigt. Ein Bild leuchtet an der Wand, es ist eine wunderschöne, von hinten angestrahlte Fotografie eines Bergs bei Sonnenaufgang. Wenn ich das Licht einschalte, verwandelt es sich in einen Spiegel über dem Waschbecken – genial. Aus dem Wasserhahn fließt das Quellwasser direkt aus dem Berg. In die 350 Kilogramm schwere Eisentür ist ein Glasschlitz eingelassen, damit man sich nicht so eingebunkert fühlt. Das bedeutet natürlich aber auch weniger Privatsphäre. Zum Abend kann, wer will, den schmalen fahrbaren Kleiderschrank vor den Sehschlitz rollen.

Doch mit der Privatsphäre ist das so eine Sache im La Claustra. Nicht nur weil die Duschen und Toiletten außerhalb des Zimmers im kleinen, aber sehr feinen Wellnessbereich liegen und die Gäste sich ab und zu im Bademantel begegnen. Schnell wird deutlich, dass dieses Hotel weit mehr als lediglich eine angenehme Stimmung schafft. Gewohnte „Orientierungskoordinaten“ des Alltags und äußere Ablenkung zum Beispiel durch das Fernsehen fehlen. Hier im Berg klingelt auch ganz gewiss kein Handy, und selbst das Sonnenlicht gibt in diesem fensterlosen Reich der Felsen keinen Tagesrhythmus vor. Man verliert schnell das Gefühl für Raum und Zeit. Und das ist auch ganz im Sinne des Erfinders Jean, des Soziologen. Denn was nun folgt, ist eine Öffnung für das Neue und den Anderen. Schließlich sitzen wir hier alle im gleichen Berg. Unwillkürlich fühlt man sich wie eine verschworene Familie, die Zahl der Gäste ist ja auch begrenzt. Bald kenne ich die anderen Bewohner dieser eigenständigen Welt unter Tage mit ihren eigenen Gesetzen. Und ich bin voller Verständnis und nicht wirklich überrascht, als ich am nächsten Morgen meine Nachbarn in unkonventioneller Pose auf allen vieren kriechen sehe, interessiert über den Wasserkanal gebeugt. Ich geselle mich zu ihnen, und gemeinsam bewundern wir die clevere Beleuchtung und die faszinierenden Lichtreflexe auf dem Wasser.

Hier, tief im Berg, ist alles anders. Die Distanz zum Alltag macht nicht nur neugierig, sondern schärft auch die Sinne. Hier gibt es nur Felsen, Wasser und Licht. Die Reduktion verhilft zu Konzentration und zur Besinnung auf das Wesentliche. La Claustra ist eine Oase im Berg zur Erholung von Körper und Geist. Ein verborgener Ort, der wie in alten Mythen von denen gefunden wird, die bereit sind für eine Reise ins Innere.