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Archiv-Artikel

Homo-Pastoren greifen Kirche an

Erstmals gehen in Bremen schwule und lesbische Pastoren und Pastorinnen an die Öffentlichkeit. Sie kritisieren ihren Vorgesetzten, den Schriftführer der Evangelischen Kirche dafür, dass er die homophoben Christival-Leute unterstützt

WERNERS GESAMMELTE WERKE

Der Vorsitzende des Christival Vereins, Roland Werner, ist sehr produktiv: Die Deutsche Nationalbibliografie führt ihn als Urheber von 48 Titeln. Sein Coming-out als evangelikaler Theologe hatte er 1981 mit „Christ sein und homosexuell?“ Es folgten „Der Konflikt des homosexuellen Menschen“ (1982), „Homosexualität muss kein Schicksal sein“ (1983), „Homosexualität – ein Schicksal?“ (1988) und schließlich die Aufsatzsammlung „Homosexualität und Seelsorge“ mit Beiträgen von Gerard van den Aardweg, dem spiritus rector der Homo-Heiler-Szene. Als Therapie empfiehlt er Eltern in „Das Drama des gewöhnlichen Homosexuellen“ (563 S., dt. 1986, 3. Aufl. Stuttgart, 1996) – verbales – „Durchprügeln“. Kostprobe? „Los, hinunter mit der Flasche Blausäure, […] dann weißt du […], wieso du hier herumschreist!“ (op. cit, S. 440). Das Familienministerium sponsert das Christival mit 250.000 Euro, weil es „Impulse für die Jugendarbeit“ erhofft. bes

VON EIKEN BRUHN

Dass er schwul ist, hat der Bremer Pastor Volkhard Leder nie verheimlicht, aber auch niemand auf die Nase gebunden. Seit gestern ist das anders. Da veröffentlichte der 47-Jährige eine Erklärung von „Kreuz und Queer“, dem „Konvent lesbischer und schwuler MitarbeiterInnen in der Bremischen Evangelischen Kirche“.

Wahrscheinlich erfahren auf diesem Weg viele Bremer Gemeindemitglieder, dass es eine solche Gruppe auch in ihrer Stadt gibt. Erst vor zwei Jahren wurde sie gegründet, zehn Mitglieder hat sie, davon sind fünf Pastoren und Pastorinnen. Bei ihren Treffen geht es um Alltagsfragen, etwa wie man auf Gemeindefesten auftritt. „Also Händchen halten wir schon gar nicht“, sagt Leders Kollegin Annette Niebuhr, „da geht es darum, ‚wie nah steht ihr beieinander‘“. Wie Leder hat sie ihr Coming-out längst hinter sich, sie lebt mit ihrer Partnerin im Pfarrhaus. Das ist in Bremen, anders als in anderen Landeskirchen, kein Problem, weil jede Gemeinde selbst entscheidet, wie sie mit dieser Kirchen-Realität umgeht.

Seine derzeitige Gemeinde stehe hinter ihm, glaubt Leder, erinnert sich aber an eine Zeit, in der einzelne Mitglieder herumerzählten, „dem warmen Pastor einheizen zu wollen“. Oder an die Gemeinde davor, die nach vier Jahren seinen Vertrag nicht verlängern wollte. Die Gründe empfand er als vorgeschoben, er ist sich sicher, dass es um sein Schwulsein ging.

Aus diesen Gründen hat Annette Niebuhr lange nicht gesagt, dass sie Lesbe ist. In einer Gruppe lesbischer Pastorinnen hätte man sich früher „hoch und heilig in die Hand versprochen, dass niemals bekannt wird, wer bei uns Mitglied ist“, erzählt die 57-Jährige. Auch in ihrer eigenen Gemeinde hat sie sich nicht sofort geoutet. Dort akzeptierten alle ohne Nachfrage die Sprachregelung, die neue Pastorin wohne im Pfarrhaus in einer Wohngemeinschaft. So hatte sie es bereits in ihrer ersten Gemeinde gehalten, wo nach ihrer Scheidung eine Frau ins Pfarrhaus zog.

Anfang der neunziger Jahre machte sie reinen Tisch. In der Gemeinde gingen Gerüchte um, „und plötzlich weigerten sich Konfirmandinnen mit auf die Freizeit zu fahren, das war furchtbar“, sagt Niebuhr. Bis auf eine kamen dann doch alle mit, kurz darauf teilte Niebuhr der Gemeinde mit, was diese zu großen Teilen ohnehin schon wusste. „Die Reaktionen waren unerwartet positiv, und ich stand unter dem Kirchturm und fühlte mich frei wie ein Vogel“.

Sicher gebe es immer noch auch in Bremen Pastoren, die Homosexualität für eine Sünde halten. Offene Diskriminierung erlebten sie von solchen Kollegen aber nicht, sagen beide. „Die sind immer sehr freundlich“, findet Leder. „Wahrscheinlich weil sie denken, wir müssten geheilt werden und mit Kranken muss man vorsichtig sein“, spottet Niebuhr.

Bisher gab es für sie keinen Grund, sich mit solchen Positionen zu beschäftigen. Auch das Anfang Mai in Bremen stattfindende Christival, das von Menschen organisiert wird, die Homosexualität für heilungsbedürftig halten und ein entsprechendes Seminar in das Programm aufgenommen hatten, wollte die Gruppe Kreuz und Queer eigentlich ignorieren. Doch dann stellte sich der geistliche Leiter der Bremischen Kirche, der Schriftführer Renke Brahms, mit einer Presseerklärung hinter das evangelikale Jugendfestival und ganz besonders hinter dessen Vorsitzenden Roland Werner, der aus seinen Ansichten zum Thema Homosexualität keinen Hehl macht (siehe neben stehenden Kasten). Einen Monat brauchte die Gruppe, bis sie sich dazu durchrang, ihren Ärger öffentlich zu machen. „Wir finden es empörend, wenn leitende Geistliche der Gliedkirchen der EKD ihre Solidarität mit dem Christival öffentlich erklären, ohne sich von den diskriminierenden Positionen seiner Leitung zu distanzieren“, schreiben sie in ihrer gestern veröffentlichten Erklärung, „sie verletzen ihre Fürsorgepflicht, die sie gegenüber ihren lesbischen und schwulen MitarbeiterInnen haben“.

Der kritisierte Schriftführer Brahms schob gestern eine Erklärung hinterher, er teile nicht die Ansicht, Homosexualität sei eine Krankheit, und er stelle sich „ausdrücklich“ hinter die erbosten MitarbeiterInnen. Gleichzeitig müsse er „zur Kenntnis nehmen, dass es unterschiedliche Meinungen zu dem Thema gibt“, beide müssten in der Kirche vertreten werden dürfen. Auf Nachfrage räumt er, der im Kuratorium des Christivals sitzt, ein, dass umgekehrt auch auf dem Christival eine ergebnisoffene Diskussion über die Streitthemen Homosexualität und Abtreibung geführt werden müssten. Ein Signal, dass dies geschehen wird, habe er allerdings noch nicht erhalten.

Trotz dieses halben Zurückruderns halten Leder und Niebuhr an ihrer Kritik fest. An der Auseinandersetzung mit fundamentalistischen Positionen zeige sich schließlich, ob sich die Kirche modernisieren könne, findet Niebuhr. „Ob sie enger wird oder weltoffener und einladender.“