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Archiv-Artikel

Die anderen leben und lieben!

Der ARD-Fernsehfilm „12 heißt: Ich liebe Dich“ handelt von einem Stasiopfer, das sich in einen Stasitäter verliebt. Eine Geschichte, die alte Wunden wieder aufreißen – und heilen kann

DER FILM „12 HEISST: ICH LIEBE DICH“

Bettina Kramer, 28, ist angeklagt, durch Kontakt zu einer linken Westberliner Gruppe gegen die Interessen der DDR zu handeln. Während der acht Monate ihrer Stasiuntersuchungshaft hat sie einen Vernehmer: Stasioffizier Jan Kohlfeld. Auch wenn der unerbittlich seine „Pflicht“ tut, verlieben sich die beiden. Diesen Drahtseilakt meistern die Schauspieler Claudia Michelsen und Devid Striesow in einem Kammerspiel, das zum Aufregendsten gehört, was bisher im deutschen Fernsehen über Bespitzelung zu sehen war. Nach der Wende arbeitet Bettina Kramer in der Stasiopfer-Gedenkstätte, Jan Kohlfeld ist als biederer Buchhalter mit Eigenheim schon beinahe Wende-Gewinner. Als die beiden sich wiedertreffen, kommt die Liebe der „Zeit der Erinnerung“ in die Quere. „Und trotzdem immer wieder 11 und 12“, hatte Kramer bei den Vernehmungen auf Zettel geschrieben: die Anzahl der Buchstaben in „Du bist schön“ und „Ich liebe dich.“ Die Umwelt jedoch kann auf dieses Schicksal nicht anders reagieren als mit der Forderung nach „Aufarbeitung“. STG

VON MARTIN REICHERT

Mit der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland verhält es sich wie mit der Psychose: Sie tritt in Schüben auf – wenngleich sie eher unter neurotischen denn psychotischen Vorzeichen steht. Die erste Phase der Stasiaufarbeitung unmittelbar nach der Wiedervereinigung war denn auch eher hysterisch. Man blickte mit Erstaunen auf den unheimlichen Big Brother MfS, der ganz plötzlich in Unterhosen dastand. Ergötzte sich mitunter voyeuristisch an den zum Teil dramatischen Schicksalen der Opfer: Frau von eigenem Ehemann bespitzelt – und entrüstete sich moralisch über die Unmenschlichkeit der Täter: Hier die Guten, da die Bösen, hier die Opfer, da die Täter. Die Opfer konnten endlich sprechen, die Täter aber schwiegen.

Es folgte, fast zehn Jahre später, die allgemein regressive Phase: Die DDR-Vergangenheit wurde zur lustigen „Sonnenallee“ (1999), in der sich Pittiplatsch und Schnatterinchen bei Klub Kola und Halloren Kugeln auf ihre Kindheit besannen – damit sie ihnen nicht weggenommen werden möge.

Im Jahr 2006 kam dann Florian Henckel von Donnersmarcks „Das Leben der Anderen“ in die Kinos – ein Film, der sich mit der von Stasispitzeln durchsetzten Kulturszene Ostberlins auseinandersetzte. Hier wurde, anders als bei Leander Haußmann, nicht mehr gelacht – und erstmals bekamen die Stasitäter ein Gesicht, wurden zu Menschen. Die sich in Folge auch im richtigen Leben plötzlich zu Wort meldeten: Mancher Ex-MfS-Mitarbeiter kam hinter der Mauer des allgemeinen Schweigens und Verschweigens hervor, um öffentlich zu bekennen, dass man sich doch eigentlich gar nichts vorzuwerfen habe. Es sprachen nun auch die Täter – meist, um sich zu verteidigen, selten, um sich zu erklären.

Im Jahr 2008 nun, nicht im Kino, aber im Fernsehen zur Hauptsendezeit in der ARD, sprechen Täter und Opfer nicht mehr nur für sich, sondern miteinander: Connie Walthers „12 heißt: Ich liebe Dich“. Und als ob dies nicht schon unvorstellbar genug wäre: Stasitäter und Stasiopfer lieben sich.

Eine Geschichte, die verständlicherweise die Gefühle mancher Stasiopfer überstrapaziert – mehrere Opferverbände protestierten erfolgreich bei der verantwortlichen Sendeanstalt MDR, die die Ausstrahlung nun mit einer Doku begleitet.

Nun wird wieder geredet und debattiert – über die DDR-Vergangenheit, über Schuld, Verantwortung, Opfer und Täter. Die beste Therapie bei allen familiären Verstrickungen und Neurosen, die meist unter einem dicken, erstickenden Teppich des Schweigens und Beschweigens vor sich hin schwelen. Die Gespräche gehen weiter. Gut so.