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Archiv-Artikel

Mehr Leben für Mümmeltown

Das Stadtententwicklungkonzept „Schau nach Osten“ soll auch die Plattenbausiedlung Mümmelmannsberg aufwerten. Von dort kommen eigene Ideen: Neue Zentren für neues Leben

MÜMMELMANNSBERG

Der Name „Mümmelmannsberg“ leitet sich von der gleichnamigen Erzählung von Hermann Löns (1866–1914) ab und verweist auf die zahlreichen Hasen, die vor dem Bau der Siedlung hier auf Wiesen und Obstplantagen zuhause waren. Die Geschichte der Großsiedlung Mümmelmannsberg reicht zurück in die 1960er-Jahre: Ab 1964 begann die Stadt Hamburg die ersten Grundstücke auf dem heutigen Siedlungsgebiet aufzukaufen. Die gewerkschaftliche Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat, zusammen mit einem Dutzend Baugenossenschaften, ließ die Siedlung in zwei Bauabschnitten errichten. 1972 zogen die ersten Mieter in den Winkel von Autobahn 1 und der Bundesstraße 5. Heute wohnen rund 19.000 Menschen auf einer Fläche von zweieinhalb Quadratkilometern. Mümmelmannsberg hat zwei Grund- und eine Gesamtschule. Der Ausländeranteil liegt bei 23,3 Prozent. TAZ

VON DYFED LOESCHE

Wolfdietrich Thürnagel ist kein radikaler Aufwiegler, eher ein kampflustiger Rentner mit drastischer Bildsprache. „Noch ist es ruhig, aber eigentlich müssten wir Feuer machen und schreien: ,Nächste Woche ist Revolution!‘ “, sagt er. In Hamburg hat jeder schon mal von der Hochhaussiedlung Mümmelmannsberg gehört. In den Köpfen der Hamburger, die nicht hier wohnen, hat sich ein Klischee von Jugendgewalt, Arbeitslosigkeit und unansehnlicher Platte hartnäckig festgesetzt.

Mümmelmannsberg war bereits fast 20 Jahre Sanierungsgebiet, als der Senat 2006 im Rahmen der „Aktiven Stadtentwicklung“ das Projekt „Schau nach Osten“ anschob. Das groß angelegte Stadterneuerungsprojekt des Bezirks Mitte und der Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg) soll nun den ganzen Bezirk Billstedt-Horn aufwerten, wohnlicher und attraktiver machen.

Seit Anfang April sind im Bezirksamt Billstedt Ideen und Projekte zu sehen, die Arbeitsgruppen, Beiräte und einzelne Bürger in den letzten eineinhalb Jahren entwickelt und zusammengetragen haben.

Thürnagel hatte bei fast allem irgendwie die Finger im Spiel, zumindest soweit Mümmelmannsberg betroffen ist. Mit seinem aufgeknöpften Fleecehemd und seiner energischen Art wirkt der 67-Jährige jünger als er ist. Für ihn ist der vermeintliche Problembezirk Heimat und Passion. Er sagt: „Andere sammeln Briefmarken oder gehen zum HSV, ich mache seit 35 Jahren ehrenamtliche Stadteilarbeit.“ Thürnagel ist das Stadtteilbüro in Personalunion, er sitzt im Sanierungsbeirat und engagiert sich im „Kindertreff e.V.“ und dem Verein „Aktiv Wohnen“, der auch eine Stadtteilzeitung herausgibt.

Wer sich als Außenstehender in den Kern des Quartiers vorwagt, erkennt sofort die strukturelle Schieflage – der Marktplatz, an dem das Leben pulsieren sollte, ist verwaist. Leerstand und blinde Fenster prägen das Bild des „Alten Zentrums“, wie es im Entwicklungskonzept heißt. Die 200 Meter lange offene Passage zwischen dem Havighorster Redder und der Straße Mümmelmannsberg ist triste Insolvenzmasse. 2004 hatte ein Immobilienspekulant sich an der Passage verhoben, jetzt verwaltet die Bank sie treuhändisch. Dienstleister wie die Praxisklinik, das Seniorenheim und das Team.Arbeit.Hamburg halten die Stellung. Geschäfte für den täglichen Bedarf wie Plus und Schlecker sind in einen Neubau an die Kandinskyallee gezogen. Die Post wurde geschlossen und in den Lotto-Kiosk integriert.

Thürnagel will seinen Stadtteil nicht als sozialen Brennpunkt verschrien wissen, auch wenn er einräumt: „Alle, die nach Mümmelmannsberg ziehen, sind arm.“ Jeder, der es schafft, eine Sprosse auf der sozialen Leiter zu erklimmen, packt seine Sachen und zieht weg. Die Armut verdichtet sich, mit ihr die Resignation und das Gefühl, hier auf verlorenem Posten zu stehen.

In „Mümmeltown“, wie die Einheimischen sagen, leben viele Migranten – davon eine als besonders gefährlich gehandelte Spezies, die unter 25-Jährigen. „Das ist brisant, weil die keine Arbeit kriegen“, so Thürnagel. Dass hier mal einer auf die Mütze kriege oder „abgezogen“ werde, sei nicht zu leugnen, aber organisierte Jugendgangs oder den Crack-Dealer an der Ecke suche man vergebens.

Der strukturelle Schwerpunkt der „Schau nach Osten“-Initiative liegt auf der Entwicklung lebendiger Zentren, vom Horner Kreisel bis an den Stadtrand nach Mümmelmannsberg. Sie ist auf die nächsten 15 Jahre angelegt. Über die Realisierung der einzelnen Projekte will die Stadtentwicklungsbehörde noch vor der Sommerpause beraten.

Horn, das sein Zentrum im Bombenhagel von 1943 verlor, soll eine „Neue Mitte“ samt Stadtteilhaus bekommen. Selbst für Billstedts geschäftiges Zentrum samt gut besuchter Einkaufspassage und dem lebendigen Wochenmarkt ist eine Verschönerung angedacht. Auch in den Wohnquartieren selbst dreht sich alles um Zentren. Die Siedlung Kaltenbergen an der Legienstraße hat schon mal vorab einen neuen Nachbarschaftstreff, das „Waschhaus“. Mümmelmannsberg soll nun auch ein neues Gravitationszentrum implantiert bekommen: Thürnagel will in der brachliegenden Einkaufspassage ein Mehrgenerationenhaus einrichten. Ein Kommunikationszentrum, um den Bürgern zu zeigen, dass sie doch etwas zu sagen haben: „Dazu brauchen wir Räume, in denen sich die Bürger treffen können, ohne Kontrolle.“ Es geht ihm nicht um die große Politik. Er will ein Kino, eine eigene Bibliothek und Räumlichkeiten, in denen die Leute Geburtstage und Hochzeiten feiern können. Ob Thürnagels Traum Wirklichkeit wird, hängt auch von der neuen grünen Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk ab – der Senat bewilligt die Mittel.

Thürnagel selbst versprüht die Energie eines Idealisten, wenn er von seinem Projekt erzählt. Gleichzeitig ist er Realist genug, um zu wissen, dass Mümmelmannsberg grundsätzliche Probleme hat, für die sich keine schnelle Lösung anbietet. „Das Problem dieses Stadtteils ist die Armut. Die können wir nicht ändern, wir können sie nur mildern.“ Daher müsse man die Kommunikation verbessern. Damit alle miteinander reden und feststellen, „dass sie alle die gleichen Probleme haben.“ Feuer legen will Thürnagel jedenfalls vorerst nicht.