: berliner szenen Loretta und ich
In der Kellerbar
Jemand bohrte ein Loch in die Wand. Endlich konnten wir aufs Meer sehen. Die Luftangriffe setzten sich unvermindert fort. Alles war so leicht entflammbar. Die Teller, die Tassen, die Schränke. Wir zogen uns in die Kellerbar zurück, wir wollten nicht entdeckt werden, und wenn, dann als Subversive. Sich rar machen macht attraktiv. Der ganze blödsinnige Rest – ein Tanz des Todes, man sprengte Sandburgen und schoss auf Möwen.
In der Kellerbar machte sich Wehmut breit. Die Gäste ließen die Köpfe hängen. An den Wänden klebte eine Mischung aus Staub, Dreck und Feuchte. Wir sahen uns um. Aus einer kleinen Frau kamen Rauchwolken, eine andere stäubte uns mit ihrem Parfüm ein. Wir standen und staunten, eine Kapelle kippte laute Musik über uns aus. Von der Bühne kamen schrullige, weltflüchtige Texte. Loretta verharrte neben mir. „Mir ist es zu wenig konkret“, sagte ich laut, „das ist nur existenzialistisches Gewaber! Dabei tut Leben ganz konkret weh!“ Loretta sagte nichts.
Mir fiel das Gleichnis vom Wald ein, in den man ruft. Und der einfach nur zurückschweigt. Man kann mit Reklamewagen vorfahren, mit aufgeschnallten Megafonen, groß wie in dem Blues-Brothers-Film, und erntet wieder nur Schweigen! Loretta sagte immer noch nichts.
Die Zeichen wurden hässlich. Schicksalsgrafiken, die offene Frage der Fotolage, Scheinwerfer, Fernsehgespräche, antibürgerliche Reflexe. Ich schaute mir Lorettas Schönheit an, das saubere, dunkelblonde Haar. Ich spürte eine Hemmschwelle im Kopf, eine Zungenlähmung. Von einem Moment auf den anderen kam ich mir vergeudet vor. Ich versuchte, mit einem Engel zu spielen, dabei konnte ich nicht einmal mit ihr reden. Loretta schwieg. RENÉ HAMANN