„Junge Leute haben andere Ideen“

Wenn überhaupt, dann besuchen Jugendliche sein Haus meist nur, weil sie es für die Schule tun müssen. Das möchte Christian Walda, Leiter des Jüdischen Museums in Rendsburg, ändern: Er will sie zu einem eigenen Blick auf die Geschichte bringen

CHRISTIAN WALDA, 35, Buchhändler, Kunsthistoriker, Philosoph und Politikwissenschaftler, leitet seit April 2008 das Jüdische Museum in Rendsburg.

taz: Herr Walda, Sie möchten das Jüdische Museum in Rendsburg umkrempeln und mehr junge Besucher gewinnen. Ist das angesichts der alternden Bevölkerung überhaupt eine gute Idee?

Christian Walda: Ich möchte das Museum nicht umkrempeln. Bildende Kunst wird – schon aufgrund der Sammlungsbestände – weiterhin Schwerpunkt unserer Dauerausstellung sein. Auch wird es weiterhin Lesungen geben – schon, weil ich als gelernter Buchhändler ein Faible dafür habe. Und es stimmt natürlich, dass es immer mehr ältere Menschen gibt. Aber wir wissen auch, dass das Interesse der über 30-Jährigen an Museen in deren Lebensverlauf stetig wächst. Diese Gruppe brauchen wir also nicht gezielter anzusprechen als ohnehin. Jugendliche dagegen kommen nicht ohne weiteres – und wenn, dann oft mit ihren Lehrern und unter Zwang. Als Jüdisches Museum haben wir zusätzlich das Problem, dass unsere Themen im Allgemeinen negativ besetzt erscheinen, was die Hemmschwelle erhöht. Wir möchten die Jüngeren deshalb möglichst frei von Druck an unsere Themen heranführen. Ich möchte Schüler dafür gewinnen, Projekte zu erarbeiten, die ihnen zu einer eigenen Sicht auf Geschichte verhelfen, die von der in der Schule vermittelten politischen Korrektheit abweichen kann.

Inwiefern?

Insofern, als wir hierzulande oft darauf festgelegt sind, Israel und den Palästina-Konflikt zu verknüpfen. Ein israelischer Autor muss – aus deutscher Sicht – immer den Nahost-Konflikt oder den Holocaust thematisieren und nicht – wie etwa Zeruya Shalev – ausschließlich Privates. Sonst gibt es Kritik.

Meinen Sie mit dieser Abweichung von der so genannten politischen Korrektheit, dass bei einem Schülerprojekt auch herauskommen könnte, dass zum Beispiel die Juden gar keine Opfer waren?

Nein. Das kann gar bei Recherchieren in unserem Museum gar nicht herauskommen. Wir haben unendlich viel Archivmaterial, das das Gegenteil beweist. Aber wenn ein Schüler durch Zwang mit dem Holocaust konfrontiert wird, wehrt er sich vielleicht gegen diese Wahrheit, weil er sie als aufgezwungen empfindet. Findet er es selbst heraus, ist es etwas anders.

Aber ohne diesen Druck durch die Schule käme vielleicht überhaupt kein Jugendlicher in Ihr Museum.

Zum Kennenlernen ist das ja auch in Ordnung. Aber die Projektarbeit soll nicht vorgegebene Geschichtsbilder reproduzieren, sondern die Schüler animieren, Einzelschicksale nachzuempfinden.

Wollen Sie eine Projektwerkstatt schaffen, wie sie etwa in der Gedenkstätte Neuengamme existiert?

Ich möchte unser Dachgeschoss zum Themenraum ausbauen, in dem man zu Schlagworten – Zionismus zum Beispiel – recherchieren kann. Aus den Ergebnissen könnten die Schüler eine kleine Ausstellung konzipieren, die ich natürlich begleite. Auch könnten Schüler aus unserem Archivmaterial Biographien Rendsburger Juden erarbeiten, die 1938 von hier vertrieben wurden.

Würden Sie also eine Ausschreibung an Schulen herausgeben, die eine Ausstellung konzipieren wollen?

Wie formalisiert diese Zusammenarbeit sein wird, kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich bin aber sicher, dass junge Leute Ideen haben, auf die wir Älteren nicht kommen und die sie gern an uns herantragen und mit realisieren können. Das kann im Rahmen schulischer Projekttage sein. Auch Führungen durch Schüler kann ich mir vorstellen.

Abgesehen von den Themen-Ideen der Jugendlichen: Was wollen Sie den Schülern über das Judentum mitteilen? Worauf den Schwerpunkt legen?

Wir werden weiterhin Führungen für Jugendliche anbieten und die Ausstellungsthemen insgesamt jünger machen. Ich würde zum Beispiel gern die Schau „Jüdische Jugend heute in Deutschland“ aus Frankfurt oder „Das Mädchen von Zimmer 28“ über Theresienstadt hierher holen, die vor ein paar Monaten in Berlin zu sehen war.

Sollen Ihre Ausstellungen lebensweltlicher werden?

Wir werden weiterhin Kunstausstellungen und historische Präsentationen zeigen, also einen Querschnitt durch jüdisches Leben bieten. Das bietet ja größtenteils schon unsere Dauerausstellung in den Gebäuden der früheren jüdischen Gemeinde Rendsburgs, der Synagoge und der Talmud-Tora-Schule. Dort präsentieren wir eine Dokumentation zur jüdischen Geschichte Schleswig-Holsteins. Zudem zeigen wir Exponate zu jüdischen Feiertagen und Ritualen sowie Kunstwerke von schleswig-holsteinischen Juden, die zwischen 1933 und 1945 verfolgt wurden. Neben dieser Dauerausstellung haben wir zwei Gebäude mit 100 Quadratmetern Fläche für Wechselausstellungen, mit denen wir alle paar Monate wechselnde Schwerpunkte setzen können.

Welche Aspekte der jüdischen Geschichte Rendsburgs und Schleswig-Holsteins gehören Ihrer Meinung nach dringend erforscht?

Es gibt überhaupt keine zusammenfassende Darstellung der Geschichte schleswig-holsteinischer Juden. Das liegt auch daran, dass es in Norddeutschland, anders als in Heidelberg, keinen jüdischen Studiengang und daher kaum Doktoranden für jüdische Themen gibt. Dabei gäben die Fotos und Lebenszeugnisse unseres Archivs eine Menge her. Interview: Petra Schellen