: Russen loben diese Schönheit
Natalie Tenbergs Gastro-und Gesellschaftskritik: Das Café Grenander am Wittenbergplatz – kann man hier KaDeWe-Stress abbauen?
Touristen, die nach London fahren, landen früher oder spätester bei Harrods. Wer nach Paris fährt, bleibt bei den Galeries Lafayettes kleben. Der arglose Berlin-Tourist spaziert gerne durch das KaDeWe. Der Spießroutenlauf des käuflichen Grauens beginnt mit Schmink- und Parfumständen und endet in einem Fresstempel, durch den sich die Massen walzen. Es ist zum Verrücktwerden, und schnell überkommt einen der Impuls, aus diesem Wahnsinn herauszuflüchten. Nur wohin?
Gut, dass nun am Wittenbergplatz das Grenander neu eröffnet hat, benannt nach dem Architekten, der den U-Bahnhof Wittenbergplatz entwarf. Früher war es ein kleines Café, jetzt nennt es sich ambitioniert „Caféhaus“. Seine für Berlin untypisch niedrigen Decken und der Parkettboden dämpfen den Raumklang auf ein erträgliches Post-Shopping-Level. In den gemütlichen Sesseln kann man etwaigen Stress vergessen und durch die großen Scheiben heraus in dieses abseitige Stückchen Schöneberg blicken. In weißen Regalen stehen Bücher in Leineneinbänden, eher Requisit als Lektüre. Im Grenander wähnt man sich in einer Rekonstruktion des Ankleidezimmers einer französischen Comtesse. Wenn da doch nur nicht diese Deko-Gläser auf den Tischen stünden, die mit durchsichtigen Gel gefüllt sind, in dem Plastikblüten stecken. Den russischen Gästen am Nebentisch gefällt dieses Styling, sie loben ausdrücklich die Schönheit dieses Ortes, als sie nach der Rechnung fragen. Aber auch beige Berliner Senioren fühlen sich in diesem Puderkasten wohl.
Es liegen genug Illustrierte aus, um hier eine ruhige halbe Stunde zu verbringen, und auch die Bedienung hält sich nach aufgegebener Bestellung angenehm zurück. Man kann den eigenen Gedanken – oder der im KaDeWe entstandenen Leere im Kopf – friedlich nachhängen. Der sehr gute Latte macchiato wärmt, was auch nötig ist, weil im komplett umgebauten Grenander trotz mieser Außentemperatur noch stoßweise trockengelüftet wird.
Schaudern tut es einen auch beim Verzehr des Grenander Salats, eines Eisberg-Salathaufens mit fadem Hausdressing, Ei und Mais. Die belegten Baguettes zeugen nicht gerade davon, dass man sein Handwerk hinter den Kulissen so gut beherrscht wie derjenige, der an der Kaffeemaschine steht.
Das „Caféhaus“ im Namen ist wohl weiter gedacht als gesprungen. Ein Stammcafé wird das Grenander nicht werden, wohl aber ein Ort, an dem man sich beim warmen Kaffee vom Kaufhaus-Stress erholen kann, bevor man sich wieder in die U-Bahn setzt.
CAFÉHAUS GRENANDER, Wittenbergplatz 3a, 10789 Berlin-Schöneberg, (030) 23 60 94 70, U-Bahn Wittenbergplatz, Latte macchiato € 3,20, Grenander Salat € 8,50, Tiramisu Torte € 4,50