: Neues Wahlrecht überfordert nicht
betr.: „350 Kreuze für die Demokratie“, taz vom 3. 4. 08
In ihrem Artikel berichteten Sie über die Berliner Wahlrechtskampagne „Mehr Demokratie beim Wählen“. Als am Wahlrecht interessierter Berliner enttäuschte mich Ihre einseitig negative Darstellung der Reformvorschläge.
Ihr Argument, dass die Berliner Wählerschaft mit dem neuen Wahlrecht überfordert wäre, kann ich nicht nachvollziehen. Der Gesetzentwurf des Wahlrechtsbündnisses scheint Ihnen hier nicht hinreichend bekannt zu sein. Die Wähler/innen, die es so einfach wie bisher haben wollen, könnten ganz ohne Frust einfach ihre Partei und den favorisierten Wahlkreiskandidaten je einmal ankreuzen. Dieses Votum würde als volle fünf Parteistimmen für die angekreuzte Partei und als Erstpräferenz für den angekreuzten Kandidierenden gewertet werden. Ignorierten sie außerdem die Parteilisten, so würden diese Wähler die Aufstellung der Parteien akzeptieren.
Das neue Wahlrecht stellt also keine Überforderung dar, sondern vielmehr eine Chance für jene Bürger/innen, die einen stärkeren Einfluss auf die Berliner Politik ausüben wollen. Die 350 möglichen Stimmen, die Sie errechneten, sind daher eine völlig verfehlte Kritik. Die Wählenden können zwar theoretisch ihre Stimmen auf sechs verschiedene Parteien verteilen und dann die Parteilisten komplett durchnummerieren. Doch wer würde dies tatsächlich tun? Der genialste Aspekt am neuen Wahlrecht ist doch, dass jede/r Wahlberechtigte die Wahlzettel so weit bearbeiten kann, wie sie/er es möchte. Diejenigen, die nicht so weit gehen wollen, überlassen ihre nicht getroffenen Entscheidungen wie bisher den Parteien.
Auf andere Stärken der Vorschläge des Bündnisses wollten Sie überhaupt nicht eingehen. So handelt es sich bei der Ersatzstimme um eine einfache wie wirksame Idee, um taktisches Wählen drastisch zu reduzieren […]. JAN SCHULZE, Berlin
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