Billiglöhne auf Nord-Baustellen

Die Einhaltung von Tariflöhnen muss bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge nicht mehr berücksichtigt werden. Jetzt befürchten die lokalen Bauunternehmen Wettbewerbsnachteile

VON MARCO CARINI

Tariftreue ade, Dumpinglöhne olé! Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs dürfen die Landesregierungen von Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein die Vergabe öffentlicher Bauaufträge nicht mehr daran koppeln, dass die Unternehmen die in den Bundesländern gültigen Tarifverträge für das Baugewerbe einhalten. Die entsprechenden Landesvergabegesetze sind in diesem Punkt nicht mehr rechtsmäßig.

Im Klartext bedeutet das: Die in den Bundesländern ansässigen Bauunternehmen sind gegenüber den nicht tarifgebundenen Firmen kaum noch konkurrenzfähig. Anstelle der Tarifsätze müssen in Zukunft nur noch die wesentlich niedrigeren Mindestlöhne gezahlt werden.

In den drei norddeutschen Bundesländern sehen die Tarifverträge vor, dass die Handwerker auf einer Baustelle im Durchschnitt gut 14 Euro pro Stunde, qualifizierte Facharbeiter wie etwa Polierer sogar rund 17 Euro erhalten. Bisher musste jedes Unternehmen, dass mit öffentlichen Geldern bauen wollte, diese Löhne garantieren, wollte es einen Auftrag der jeweiligen Landesregierung erhalten.

Der Europäische Gerichtshof hatte sich mit dem Thema befasst, weil das Oberlandesgericht Celle einen Streitfall zwischen dem Land Niedersachsen und einem Auftragnehmer an ihn verwiesen hatte. Der Auftragnehmer hatte ein polnisches Subunternehmen beauftragt, das nicht einmal die Hälfte der gesetzlichen Mindestlöhne in Höhe von zehn bis 12 Euro bezahlte. In seinem Urteil hebelte der Europäische Gerichtshof die Landesgesetze aus und entschied, dass die Tarifbindung gegen europäisches Recht verstoße. Damit kassierten die Luxemburger Richter gleichzeitig einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes. Das hatte die Tarifbindung, die in insgesamt acht Bundesländern gilt, 2006 ausdrücklich als verfassungsgemäß deklariert.

Martin Huber, Leiter des Rechtsamtes der Hamburger Stadtentwicklungsbehörde, sieht nach dem Urteil keine Möglichkeit mehr, „die Einhaltung der lokalen Tarifverträge auf öffentlichen Baustellen durchzusetzen“. Armutslöhnen seien jetzt Tür und Tor geöffnet. Da die Hamburger Bauunternehmen aber weiterhin an die regionalen Tarifvereinbarungen gebunden seien, hätten sie nach dem Urteil mit „erheblichen Wettbewerbsnachteilen“ gegenüber Anbietern aus anderen Bundesländern oder dem Ausland zu kämpfen. Den Unternehmen müssten sich nun auf Umsatzeinbußen gefasst machen, ihre Mitarbeiter auf Entlassungen aufgrund ausbleibender öffentlicher Aufträge. Das gelte auch für Niedersachsen und Schleswig-Holstein.

Hamburgs noch amtierender Bausenator Axel Gedaschko (CDU) kündigte am Mittwoch an, sich umgehend an Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) wenden zu wollen. Glos solle eine Initiative starten, um die so genannte europäische „Entsenderrichtlinie“ zu überarbeiten, die nach Auffassung der Europa-Richter den deutschen Landesvergabegesetzen entgegen steht.

Gedaschko kann dabei darauf verweisen, dass selbst der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs, dessen Auffassung die Luxemburger Richter in aller Regel folgen, keinen Widerspruch zwischen dem niedersächsischen Landesvergabegesetz und geltendem Europarecht hatte erkennen können.

Niedersachsens Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) will hingegen einen anderen Weg gehen. Vor dem Landtag in Hannover kündigte er an, das Landesvergabegesetz ganz „aufheben“ zu wollen und nur die von Luxemburg nicht beanstandeten Regelungen „in andere geeignete Vorschriften“ aufzunehmen.