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Archiv-Artikel

„Bis jetzt ist das Beste der Aldi“

Wenn abends die Loftbüros schließen, kehrt in der Überseestadt die große Ödnis ein. Leute, die aus dem Brachland im Bremer Westen einen richtigen Stadtteil machen, lassen sich nur mit einem locken: Raum für Experimente, sagt das „Autonome Architektur Atelier“

Das Autonome Architektur Atelier organisiert „Projekte und Aktionen an der Schnittstelle von Kunst und Stadtentwicklung“. Ab Mai nehmen sie sich von ihrem neuen Quartier im Alten Hafenzollamt aus die Überseestadt vor. Davon erzählt haben der taz der Architekt Daniel Schnier (re.) und der Raumplaner Oliver Hasemann (mi.) Zum AAA gehört auch noch der Stadtplaner Alexander Kutsch (li). Foto: C. Eisenstein.

Interview: Christian Jakob

Ist bei der Entwicklung der Überseestadt viel zerstört worden?

Am Anfang wollte man alles platt machen. Das Becken des Überseehafens wurde zugeschüttet. Ein Nebengebäude des Hafenhochhauses und Teile des Hafen- und des Zollamtes wurden abgerissen. Statt dessen kamen Loftbüros, jetzt vielleicht eine Marina – das zerstört den ursprünglichen maritimen Charakter.

Die Nachfrage scheint den Immobiliengesellschaften Recht zu geben.

Das stimmt, die Nachfrage ist riesig, alle Büros sind vermietet, sogar im neuen „Weser-Tower“, obwohl der erst 2009 fertig sein wird. Trotzdem haben die drei Immobiliengesellschaften, die die Hafencity unter sich aufgeteilt haben, ein Problem mit dem Ortscharakter. Sie versuchen jetzt ihren künstlichen Komplexen neue Identitäten zu verpassen. Dass heißt dann „Speicherhafen.com“ oder “Kaffee-Quartier“, aber dort ist von Hafen nichts mehr zu spüren. Alles ist total steril, mit kleinen Kugelbäumchen und Springbrunnen.

Es ist aber noch jede Menge der alten Bausubstanz über.

Na ja, natürlich ist nicht alles weg, auch die traditionelle Nutzung gibt es hier und da noch. Nur ist die Entwicklung weiter gegangen. Die alten Gebäude haben Grundrisse, die nach modernem Verständnis ineffizient sind. Die Hafenbecken sind für die Containerschiffe ungeeignet. Es gibt aber Möglichkeiten die Substanz zu erhalten und trotzdem wieder zu beleben. Die Sanierung des Speichers XI hat das bewiesen.

Der Speicher XI ist also ein positives Beispiel?

Absolut, ja. Das hat überhaupt erst den Impuls gegeben, den Speicher I stehen zu lassen und auch über die weitere Entwicklung anders nachzudenken. Anders als beim Überseehafen hat man jetzt beim Europahafen das Wasser als wichtigen Bestandteil erkannt und integriert. Die kanten der Hafenbecken werden abgesenkt, so dass man dort entlang flanieren kann.

Bei welchen Objekten sollte man denn wie bei der HfK verfahren?

Zum Beispiel beim Kühlhaus, dem Hansator oder der Tabakbörse. Die Revitalisierung eröffnet die Chance, sich zu den bestehenden Stadtteilen zu öffnen.

Das wurde bis jetzt versäumt?

Walle ist überhaupt nicht eingebunden. Deswegen ist das Quartier ja insgesamt so unbelebt. Das Beste, was man in der Hinsicht bisher getan hat, war den Aldi von der Waller Nordstraße in die Quartiersgarage am Europahafen zu verlegen. Im vorderen Teil der Überseestadt gibt es ja kaum Anlaufpunkte. Außer ein paar Leuten, die ihren Hund ausführen oder neugierigen Rollerbladern verirrt sich kaum jemand dorthin.

Liegt das an der großen Schneise aus Deich und Hafenrandstraße?

Nicht der Deich ist das Problem, sondern das Fehlen von Zielen jenseits davon.

Was könnten das denn für Ziele sein?

Die Überseestadt bietet noch keine positive Identität für alle. Es gibt dort einige Anlaufpunkte, die nicht so elitär sind, zum Beispiel das Hafencasino. Das ist eine ganz einfache Gaststätte, Studenten, Arbeiter und Fernfahrer gehen dahin. Prostituierte duschen sich da. Wenn man mehr solcher Anlaufpunkte hätte – auch für Kinder – dann fühlen sich auch mehr Leute mit einem Stadtteil verbunden.

Über die Bebauung wird von den Entwicklern unter Rentabilitätsaspekten entschieden. Was für einen Unterschied macht es für diesen Prozess, wenn Leute dem Gebiet emotional zugetan sind?

Nur dadurch kommen sie auf die Idee, ihre Vorstellungen davon zu artikulieren, wie mit all den leeren Flächen umgegangen werden soll.

Und wie sollte diese Artikulation aussehen?

Das Quartier soll von Menschen, die dort wohnen wollen, in Besitz genommen werden. Bis jetzt durfte dort niemand ernsthaft wohnen. Normal ist das nicht. Alle Waterfront-Cities dieser Welt in Rotterdam, Lissabon oder Hamburg sind als Wohnlagen schwer angesagt. In Bremen hat man lange daran festgehalten, dass das Gebiet immer gewerblich war und deshalb jetzt so bleibt. Davon rückt man langsam ab, aber die geplanten Projekte werden teuer sein und vor allem räumlich sehr isoliert. Das kann es nicht sein.

Was wollt Ihr dagegen tun?

Es gibt ein kreatives Milieu in der Stadt, das soll Interesse an der Überseestadt entwickeln.

Eine besonders neue Revitalisierungsstrategie ist das auch nicht.

Nein, erst recht nicht in Bremen. Bei der Bewerbung für die Kulturhauptstadt 2010 hat man auch auf Subkultur gesetzt und wollte Räume zur Verfügung stellen. Damals hieß das “Brutstätten“. Weil man aber mit der Bewerbung baden ging, will das heute keiner mehr hören. Schreib‘ also bloß nicht, dass wir “Brutstätten“ wollen.

Gefällt es Euch besser, wenn ich schreibe, dass Ihr das Quartier „ent-

sterilisieren“ wollt?

Ja.

Das Quartier ist aber steril. Ihr kommt als Fremdkörper dorthin.

Das wollen wir ändern. Wir wollen eine Anlaufstelle sein.

Für wen genau?

Da sind wir völlig offen. Künstler, die ein Atelier suchen, junge Absolventen, die sich mit einer kleinen Idee selbständig machen wollen, Initiativen, einfach alles was Platz braucht, wenig Geld hat, den Austausch sucht.

Was wollt Ihr denen anbieten?

Ab Mai ziehen wir als Zwischennutzer in die Abfertigung des ehemaligen Zollamts am Hansator. Da ist Platz für neun weitere NutzerInnen. Den Raum werden wir vermitteln. Und in den umliegenden Gebäuden gibt es viel mehr davon. Der soll nachgefragt werden.

Neun Nutzer sind nicht viel, um auf einen ganzen Stadtteil auszustrahlen.

Eigentlich wollten wir den ganzen Zollamtskomplex. Das große Gebäude haben dann aber die Musiker gekriegt, die wegen des Kirchentages 2009 aus der alten Post ausziehen mussten. Das finden wir aber gut, weil das genau die Form von Nutzung ist, die wir wollen.

Klingt nach stinknormalem Gründerzentrum.

Gründerzentren bauen immer hohe Hürden auf. Das unterscheidet uns. Wir setzen ganz niedrigschwellig an.

Was heißt das in Zahlen?

Es geht nur um die Deckung der Unkosten. Verdienen dürfen und wollen wir an der Sache nichts, das war auch die Auflage des Eigentümers, der Bremer Invesitions-Gesellschaft.

Wie hat die BIG auf Euer Konzept reagiert?

Es gab große Vorbehalte, das hat einiges an Überzeugungsarbeit gekostet, bis wir ein Gebäude gekriegt haben. Es gibt sehr genaue Vorstellungen davon, wie es in der Überseestadt weitergehen soll: neue Bürogebäude, ein Hotel, ein paar Appartementhochhäuser und eben der Yachthafen.

Ist Euch etwas besseres eingefallen?

Ohne Ende. Aber wir wollen das ja nicht vorgeben...

...ein Beispiel müsste jetzt aber schon kommen.

Okay. Warum nutzt man nicht Teile der Brachflächen für Schrebergärten? Aber, trotzdem: Wir wollen den Anstoß geben, darüber nachzudenken, was dort noch alles sein könnte.