: Ein Nichts, um das sich alles dreht
Das Geld und das Kino: Darum ging es am Donnerstagabend im HAU. Georg Seeßlen und Markus Metz hielten den Vortrag „McGuffin zahlt alles“, Harun Farocki zeigte seinen Dokumentarfilm über Venture Capital, „Nicht ohne Risiko“
Erscheinungsformen des Geldes im Kino: ein Goldbarren, den Sean Connery als Köder Gert Fröbe auf dem Golfplatz zu Füßen wirft. Ein fettes Bündel von Tausend-Dollar-Scheinen, bei dessen Anblick die Ehefrauen der versammelten Millionäre hintenüber kippen. Das Geld, das vorne pathetisch aus dem Flugzeug fliegt und hinten komisch am Faden, auf den Adriano Celentano es gereiht hat, wieder hereinkommt. Oder Pippi Langstrumpf, die denen, die ihren Goldkoffer stehlen, hinterher noch Goldmünzen reicht.
Keiner kann sagen, es spiele das Geld im Film keine Rolle. Das Kino ist, in seiner industriellen Warenform als Kunst der Unterhaltung, aus Geld gemacht. Und doch: Das Geld ist, im Kino auf sich allein gestellt, lächerlich. Nichts als Falschgeld, die Scheine sind Schein, die Münzen sind Trug, und die Reichen im Film scheinen stets kostümiert. Das Geld, so die zentrale These von Georg Seeßlen und Markus Metz in ihrem Vortrag „McGuffin zahlt alles“, ist im Kino als solches kaum darstellbar. Was keineswegs heißt: unwichtig. Vielmehr bringt es Geschichten in Bewegung. Es ist, ganz wie der von Hitchcock beschriebene McGuffin, das Paradoxon eines Nichts, um das sich alles dreht. Aus der Differenz von Haben und Nichthaben entspringen Geschichten von Menschen, die, was sie nicht haben, begehren. Die dafür töten und zu lieben vorgeben, die Geld in Blut verwandeln und Wünsche in Träume und Albträume.
Träume in jedem Fall, denn die Werte, die das Kino als Wunschwarenform produziert, sind Traumwerte. Tausch und Gebrauch, Distinktion und Identifikation vermischen sich im McGuffin des Geldes zum Traumwert. Im Kino träumt das Geld sich menschlich, aber umgekehrt drängt es dem Publikum seine Geldträume auf. Seeßlen und Metz vermeiden den Begriff der Ideologie, aber er ist im für ihre Analysen zentralen marxistischen Begriff des Geldes als Realabstraktion impliziert. Die Realabstraktion ist für Marx eine Abstraktion, die zum Ding wird und als abstraktes Ding gesellschaftliche Beziehungen, die im Fluss sein sollten, zum Schein der Notwendigkeit des Status quo verfestigt. Anders gesagt: Das Kino, wie wir es kennen, ist der Ort, an dem der Kapitalismus seine Traumwerte produziert.
So sieht's auf der Leinwand aus. Zugleich aber ist der Film Industrie, heute: globalisierte Industrie. Soll heißen: Das Kino sucht sich billige Produktionsstandorte, das Geld, das in große Filme fließt, weiß als silly money oft genug nicht mehr, was es tut. Das Kino digitalisiert sich und taucht als für die Weltmärkte perfektioniertes Produkt auf DVDs, als Download überall wieder auf. Die Geschichten selbst, die das Kino erzählt – das von Hollywood wie das von Bollywood, der beiden großen Industrien – sind global geworden. Dieser neuere Zuschnitt sei den Filmen Wort für Wort und Einstellung für Einstellung abzulesen, behaupten Seeßlen und Metz. Und seufzen: „Eine Filmkritik, die das könnte, gibt's leider nur im Traum.“
Neunzig Minuten dichter Vortrag. Mit hinreißenden Filmausschnitten und dialektischen Analysen. Dann eine Pause, ein Schnitt, es folgt eine Filmvorführung. Harun Farocki sieht in seinem Dokumentarfilm „Nicht ohne Risiko“ (2004) dem Geld auf die Finger. Er beobachtet eine Verhandlung zwischen einem Start-up-Unternehmen, das Geld braucht, und Vertretern des Venture Capital, die Geld zu geben bereit sind. Unter bestimmten Bedingungen. Über die wird verhandelt. Natürlich sind auch hier Träume im Spiel: Von Erfolg, Gewinn, Durchsetzung auf dem Markt. Ein Kampf findet statt, um Zinsen, Prozente und Werte. Einerseits ist das als betont nüchterne Dokumentation von der Traumwertfabrik, die Seeßlen und Metz beschreiben, denkbar weit entfernt. Andererseits wird dabei umso klarer, wie in den Kalkulationen des Kapitalismus noch da, wo sie scheinbar knallhart sind, die schiere Wunschproduktion am Werk ist. In die realen und die geträumten Intrigen der Realabstraktion Geld sind Glaube, Begehren und Hoffnung immer schon eingepreist.
EKKEHARD KNÖRER