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Archiv-Artikel

Dampfende Aliens in finst’rer Nacht

Er trauert, aber er tut es dezent: Ogle Winston Link hat in den Fünfzigern die letzten amerikanischen Dampfloks fotografiert. Wie diese technischen Saurier zu Diven werden, illustriert die Ausstellung „Trainspotting“ im Hamburger Museum der Arbeit

Fast wäre man in die Knie gegangen vor dieser erhabenen Technik. Vor dem Zischen der Dampfloks, das man durch die Fotos hindurch hört. Ja, beinahe hätte man angesichts der Fotos von Ogle Winston Link zu schwärmen begonnen – da fällt einem siedend heiß ein, dass es ja Werbefotos sind, die das Hamburger Museum der Arbeit derzeit zeigt. Amerikas letzte Dampfzüge hat Link in den 50ern fotografiert und sicher auch auf die Emotionen des Betrachters gezielt.

Trotzdem ist da noch etwas anderes in den meist schwarzweißen Fotos des 2001 verstorbenen Ingenieurs und Fotografen, der erst in den achtziger Jahren Ruhm errang. Denn es war es ihm auch ein persönliches Anliegen, das Verschwinden der Dampfloks seiner Kindheit festzuhalten. Zwar hatte die Industrialisierung längst begonnen, so dass die Umstellung von Dampf- auf Dieselbetrieb keinen grundlegenden historischen Einschnitt bedeutete – wohl aber das Aussterben eines Sauriers, der ehemalige Holzfällercamps und Zechensiedlungen im Südwesten Virginias verband und bis in die späten 50er Jahre deren wichtigstes Transportmittel war: Die Bahn brachte Nahrung, Kohle, Post und Passagiere und musste auf den Bahnhöfen mit Wasser befüllt und gewartet werden. Der Zughalt war dort das Ereignis des Tages. Ein Zug kündigte sich mit Zischen und Schmauchen an, er ließ seine Kraft hören. Das kann man übrigens auch in der Hamburger Ausstellung. Denn Otto Link war auch an Geräuschen interessiert, weshalb er Tonaufnahmen der Dampfzüge produzierte.

Doch eigentlich braucht der Ausstellungsbesucher diese Soundtracks nicht. Denn man hört die Geräusche auch so – allein aufgrund der suggestiven Kraft der Fotos. Link war nicht nur Dokumentarist, sondern auch Bühnenbildner: Kunstvoll hat er Szenerien konstruiert, hat ganze Bahnhöfe nächtens ausgeleuchtet, überhaupt die Züge meist in der Finsternis abgelichtet.

Wenn er sagte, er tue das, um den Bildaufbau zu kontrollieren, stimmt das angesichts der Resultate nur halb: Denn er hat sehr wohl die dämonische Aura einer nächtlichen Lok im Blick gehabt. Er wusste, dass ein Zug, der einen Bedarfshalt namens „Solitude“ passiert, am besten nachts zu fassen ist. Ihm war klar, dass ein Zug, der wie ein Alien durch ein Kaff braust, besser in der Finsternis wirkt. Implizit überdies: der Faktor Zeit. Denn gerade die Tatsache, dass der Zug das Dorf nachts passiert, zeigt dessen Entfernung zur nächsten Stadt, die eben mehr als eine Tages-Reise erfordert. En passant werden die Loks so zu Insignien der Aneignung eines riesigen Kontinents – und für die Dorfbewohner zu Zivilisationsboten: Einen winzigen Zug-Aufenthalt lang können sie die ferne Großstadt schnuppern und sich ihr verbunden fühlen.

Und schon steht man wieder da und bewundert – aber ist das alles, was diese Schau evoziert? Nein, ist es nicht: Die Trauer angesichts des Verschwindens dieser umständlichen, aber sympathischen Gefährte offenbaren diese Fotos auch, allerdings ohne Sentimentalität. Denn Winston Link porträtiert die Züge wahlweise abstrakt – auf nachtschwarzer Folie – oder samt landschaftlichem oder zivilisatorischem Rahmen. Und je länger man schaut, desto stärker personalisiert sich das Phänomen Zug, wird zur alternden Diva, die, umgeben von Komparsen und Beleuchtern, auf ihren Auftritt wartet und mit Aufmerksamkeit bedacht werden will.

Die Menschen um sie herum werden derweil zu winzigen Handlangern. Link hat auch sie – weniger als Individuen denn als Repräsentanten ihres Berufs – porträtiert: den Telegraphen, den Heizer, den Lokführer, der wartet, bis der Bremser die Weiche umgelegt hat.

Und dann, ein paar Fotos weiter – bemerkt man, wie die Diva leiser wird. Wie sie nur noch Hintergrund ist: einen Swimming-Pool passiert, nur vage hinterm Fenster zu sehen ist. Behutsam lässt Link sie verschwinden, als habe jemand auf „fade out“ gedrückt. Da gibt es keine Dramatik, keine Larmoyanz, sondern eine erstklassige Dokumentation – und eine gelungene Schau, die sich nicht in Technikbegeisterung verliert, sondern auch Sozialgeschichte offenbart. PETRA SCHELLEN

Bis 29. 6., Hamburger Museum der Arbeit