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Archiv-Artikel

Spucken, rennen, brüllen

Armin Petras’ Inszenierung von „Als wir träumten“ macht aus Clemens Meyers Roman ein überdrehtes Spektakel – und tut damit der literarischen Vorlage keinen Gefallen

von ANDREAS RESCH

Wer einen Roman fürs Theater adaptieren möchte, steht vor der Frage, wie er die Menge an Wörtern so reduziert, dass das Ganze auf der Bühne funktioniert. Welche Aspekte soll man betonen, welche vernachlässigen? Armin Petras hat sich dafür entschieden, Clemens Meyers Roman „Als wir träumten“ als überdrehtes Spektakel zu inszenieren: Ständig rennen seine Protagonisten über die Bühne, sie verstecken sich unter Tischen, sie spucken, brüllen, belästigen das Publikum und headbangen zu Nirvanas „Rape Me“. Alle paar Minuten wird „Little Green Bag“ von der George Baker Selection angespielt, jener Song also, der zu Beginn der 90er Jahre als Titelmelodie von Tarantinos „Reservoir Dogs“ zum Inbegriff männlicher Coolness avancierte.

Durchaus amüsant ist das, und so fühlte man sich zunächst gut unterhalten von einer Inszenierung, die am Samstagabend im Studio des Maxim-Gorki-Theaters Berlinpremiere feierte, nachdem das Stück zwei Wochen zuvor in Leipzig uraufgeführt worden war. Nach und nach verfestigte sich allerdings der Eindruck, dass Meyers Buch von Petras und seiner Co-Autorin Carmen Wolfram viel zu eindimensional adaptiert wurde.

Die beiden haben das Buch filetiert, sie haben die Handlung reduziert und die Dialoge zerstückelt. Dadurch ist etwas Wesentliches verlorengegangen: die einzigartige Sprache des Romans, die sich aus dem Kontrast zwischen rauschhaft fließenden deskriptiven Passagen und schroffen Dialogen ergibt. Dadurch, dass der Theaterfassung – abgesehen von einigen wenigen vorgetragenen Beschreibungen – nur die Dialoge geblieben sind, wirkt die Geschichte um den Protagonisten Dani und seine Freunde Mark, Rico, Pitbull und Walter, die im Vor- und Postwende-Leipzig in Kleinkriminalität, Alkohol und Drogen versacken, albern: fünf Jungs, die nicht wissen, was sie tun, und dabei ziemlich unsympathisch sind.

Möglicherweise ist das auch Armin Petras aufgefallen und er hat deshalb sämtliche Männerrollen mit Frauen besetzt. Genützt hat es nichts. So sieht man eben Schauspielerinnen, die Mädchen spielen, die Jungs spielen – was nicht zu einer ironischen Brechung führt, sondern die Plattheit der Inszenierung noch hervorhebt. Die Darstellerinnen spielen derart überzogen, dass die Oberflächlichkeit der Figuren umso augenfälliger wird.

Wie in der Romanvorlage springt die Handlung im Verlauf der zwei Stunden, die das Stück dauert, zwischen Kindheitserlebnissen und Jugenderinnerungen, zwischen Sauftouren, erster Liebe und Knast hin und her. Dabei hat Armin Petras das Naheliegende getan und vor allem die Schlüsselszenen des Romans in die Inszenierung aufgenommen – etwa die Begegnung von Dani mit dem heroinabhängigen Mark in einem Kino, wo sich die beiden einen Winnetou-Film anschauen, oder den Boxkampf zwischen Graciano „Rocky“ Rocchigiani und Henry Maske. In dieser Szene entwickelt die Sprache endlich eine Eigendynamik, hier entsteht aus Dialogen, Beschreibungen und Fernsehkommentar etwas Eigenständiges.

Letztendlich ist Petras’ Inszenierung eine Annäherung daran, wie sich viele Menschen, die Clemens Meyers Buch nie gelesen haben, „Als wir träumten“ vorstellen dürften: als krude Geschichte über grölende Vorstadtprolls, die unfähig sind, ihre Gefühle zu artikulieren. Den Zuschauern hat es trotzdem gefallen, der Applaus wollte nicht abebben. Nachher unterhielt sich Clemens Meyer angeregt mit zwei älteren Damen und gab dabei den perfekten Schwiegersohn. Im Gegensatz zu Armin Petras hat er begriffen, dass nichts peinlicher ist, als in rebellischer Pose zu erstarren.