: The Lady is a Tip
Die britische Komponistin Ethel Smyth ist weitgehend in Vergessenheit geraten, obwohl sie mit dem „March of Woman“ 1912 die Hymne der Frauenrechtsbewegung komponierte. In diesem Jahr ist Smyths 150. Geburtstag – gefeiert wird auch in Bremen
Anders als Brahms war George Bernard Shaw kein Sexist, sondern bemühte sich um eine sachliche Beurteilung der Arbeiten der Komponistin Ethel Smyth. Deren „Messe in D“, jetzt zu Ehren des 150. Geburtstags der ziemlich vergessenen Britin in Bremen aufgeführt, stieß freilich auch bei Shaw auf ein gemischtes Urteil: Das Werk sei „nicht frivol und vulgär“, gehöre aber zweifellos „zur leichten Literatur der Kirchenmusik“.
Dass Smyths Geburtstag überhaupt gefeiert wird, ist eine Besonderheit. Mit Aufführungen in Kassel, Gießen und Berlin erlebt Smyths Werk anlässlich des Jubiläums zwar eine gewisse Renaissance, der allergrößte Teil jedoch staubt nach wie vor in Archiven. Etliches ist wegen der Unerreichbarkeit einer ominösen Erbengemeinschaft faktisch auch nicht aufführbar.
In Bremen hat sich eine rührige Smyth-Revival-Community zusammen gefunden, die neben Konzerten auch Lesungen und Diskussionsrunden über Smyths Vita und Werk initiiert. Beides ist ergiebig: Das Musikstudium erkämpfte sich die Offizierstochter durch einen Hungerstreik. Und während Clara Schumann und Fanny Hensel ihre Tonsetzungen eher als Nebenbei-Tätigkeit betrachteten, bestand Smyth auf Anerkennung als vollgültige Erwerbs-Komponistin.
Obwohl Smyth mit der Frauenrechtsbewegung lange nichts zu tun haben wollte, warf sie doch die Scheiben des Kolonialsekretariats ein, um öffentlichkeitswirksam verhaftet zu werden. Da 150 Frauen während der Aktion ähnlich aktiv waren – rund um die Londoner Oxford Street sollen am 12. März 1912 nur wenige Scheiben heil geblieben sein – konnte Smyth den Protest im Gefängnis mit musikalischen Mittel fortsetzen: Sie komponierte den „March of Woman“, der prompt aus dem Gefängnishof schallte. Er wurde zur Hymne der Frauenrechtsbewegung. Hinter Gittern, wird berichtet, musste Smyth den Takt mit der Zahnbürste schlagen.
Einige von Smyths Unbotmäßigkeiten sind subtiler – wie in der Bremer Aufführung der Messe in D zu hören ist. Anstatt brav und liturgisch korrekt mit dem „Agnus Dei“ zu enden, dem Sünden tragenden Lamm Gottes, krönt Smyth ihr Werk mit einem triumphierenden „Gloria“. Man mag einwenden, Smyth habe sich als Kind der anglikanischen Kirche nicht der römischen Messordnung verpflichtet gefühlt. Andererseits entstand die Messe überhaupt nur, weil sich die Komponistin in eine Katholikin verliebt hatte.
Wie also klingt eine überkonfessionelle Liebesbekundung? Die Bremer Smyth-Fangemeinde hat zwar nicht die 1.000 SängerInnen zusammen bekommen, mit der das Werk 1893 in der Londoner Royal Albert Hall uraufgeführt wurde. Aber die 80 Aktiven des Allegro-Chores und der St. Pauli-Kantorei unter Leitung von Karin Gastell lassen schon beim einleitenden „Kyrie“ erkennen, wie intensiv sie sich in das Werk eingearbeitet haben. Dabei macht es ihnen Smyth nicht leicht: In ihrer überbordenden Probier- und Komponierfreude behandelt sie die Gesangsstimmen manchmal reichlich instrumental. Mutet ihnen also allerlei Sprünge und Höhenlagen zu, mit denen sich Kehlen schon ein wenig quälen müssen.
Postmoderne Spätromantik? Der Begriff passt wegen des Eklektizismus, mit dem sich Smyth verschiedener Kompositions-Traditionen bedient. Was ihr Werk, entstünde es heute, geradezu marktfähig machen würde.
HENNING BLEYL