: Im White Cube angekommen
Pünktlich zum Gallery Weekend: Gegenüber der Rieckhalle des Hamburger Bahnhofs eröffnen nicht weniger als sechs Galerien für zeitgenössische Kunst auf rund 2.500 Quadratmetern ihre neuen Räume. Die hippe Location nennt sich „Halle am Wasser“
VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER
Auf dem Industriegelände hinter dem Hamburger Bahnhof erstreckt sich entlang des Ufers ein bislang unbeachteter Lagerhallenbau direkt gegenüber der für Ausstellungen genutzten Rieckhalle. Zwischen einer Kfz-Werkstatt und dem Lebensmittelhandel „Mitte Meer“ eröffnen pünktlich zum Gallery Weekend gleich sechs Galerien für zeitgenössische Kunst auf rund 2.500 qm ihre neuen Räume. Die „Halle am Wasser“ wurde nach Plänen des Berliner Architektenbüros Pott Architects im Auftrag des Immobilienunternehmen Vivico umfassend renoviert und wartet nur noch darauf, dass ihre raue Fassade bald vollends hinter der vorgespannten silberfarbenen Membranfolie verschwindet, die sie glamourös herausputzt.
Friedrich Loock, der neben dem Galeristen Kristian Jarmuschek und dem Kunstsammler Dr. Harald Frisch zu den Initiatoren des neuen Kunstareals im Entwicklungsgebiet Heidestraße zählt, freut sich, dass er mit seiner zweiten Galerie jetzt in der „musealen White-Cube-Atmosphäre angekommen ist“. Wohnmaschine, wie seine erste Galerie in der Tucholskystraße 35 heißt, kann er die neuen Räumlichkeiten nicht nennen. Der Name war schließlich Konzept für eine Galerie, die bereits 1988 in seinen privaten Wohnräumen in Ost-Berlin gegründet wurde. Der Begriff „Wohnmaschine“ entstammt Le Corbusiers Architekturtheorie und stand für ein Ausstellungskonzept, das Leben und Arbeit direkt mit dem Wohnen verband. Heute ist der Trend ein anderer. In der neuen Galerie Loock, die 400 statt 100 Quadratmeter hat, kann auch eine raumgreifende Installation von Natalie Stachon ihren Platz finden. Obsolet wird die alte Galerie deshalb nicht; sie bleibt als zusätzliche Dependance erhalten. „Es wird Künstler geben, die in beiden Räumen ausstellen, und welche, die einen von beiden bevorzugen“, erklärt Loock sein Vorgehen.
Ähnliches gilt für die Galerie Arndt & Partner, die neben der Stammadresse in Mitte eine zweite Ausstellungsfläche bezieht. Für die Videoinstallation von Julian Rosenfeldt, die zur Eröffnung auf vier Projektionsblöcken im Raum verteilt präsentiert wird, wurde die Halle im Rohzustand belassen, um den großräumlichen Ansprüchen des Werks gerecht zu werden.
Die verstärkte internationale Aufmerksamkeit für Berlin als weltweit angesagten Kunststandort lässt auch ehemalige Pioniere wie den Dänen Claus Andersen in die Stadt zurückkehren. In den 90er-Jahren hatte er seine Galeristenkarriere mit einem alternativen Kunstraum in der Linienstraße 51 gestartet, bevor er 2004 in Kopenhagen die Galerie Andersen S Contemporary gründet. „Andersens Wohnung Revisited 1996–1999“ inszeniert als Retrospektive die drei Jahre seiner Berliner Initiative und verdeutlich, was für ein gutes Händchen er bereits zu jener Zeit hatte: Heute sind fast alle seiner damaligen Künstler weltberühmt. War Berlin einst Sprungbrett, wird es jetzt zum Ausbau genutzt.
Mit der Galerie BodhiBerlin sitzt auch ein multinational operierender Kunsthändler in der Halle, die Publikum aus aller Welt anziehen soll. Seit drei Jahren präsentiert Bodhi Art in ihren Dependancen in Mumbai, Delhi, New York und Singapur zeitgenössische Kunst aus Indien. Nun sind sie in Europa eingetroffen. Der künstlerische Leiter des Berliner Ablegers ist niemand anders als Shaheen Merali, der bis vor kurzem noch Leiter des Bereichs Bildende Kunst, Film und Neue Medien am Haus der Kulturen der Welt war. Seine kuratierte Gruppenshow erforscht den gegenwärtigen Zustand indischer Städte. Seit 2000 beschäftigt sich Atul Dodiya mit Malerei auf Rollläden, die in seiner Shutter Serie zu sehen ist. Die metallenen Rollläden, die ursprünglich zum häuslichen Schutz und Sicherheit bestimmt waren, tragen Geschichtliches und Ikonisches sichtbar an der Oberfläche. Auf die Auswirkungen rasanter Urbanisierung weist zum Beispiel ein U-Bahn-Zeichen hin, das auf einem der Shutter aufgemalt ist. „Ähnlich wie in Beijing ganze Stadtteile umgebaut und Bäume abgeholzt werden, damit die neue Urbanität Einzug halten kann, werden derzeit indische Städte transformiert“, berichtet Merali und bemerkt, dass auch Orte in Berlin wie der Potsdamer Platz ein ganz neues Verständnis von öffentlichem und privatem Raum erzeugt haben.
Für einen Moment mag Kristian Jarmuschek vielleicht Recht haben, dass mit dem „Kunst-Campus“ am Hamburger Bahnhof ein Ort geschaffen wird, der als versteckte Attraktion gilt, während seine alten Räume in der Sophienstraße jederzeit vom Laufpublikum angesteuert würden. Eigentlich ist aber allen Beteiligten von vornherein bewusst, welches Spiel hier gespielt wird. Schon oft waren Künstlerviertel die wichtigsten Lieferanten für Großstadtbilder. Längerfristig wird es nicht um Geheimwissen gehen, sondern um eine internationale Sichtbarkeit. In den Augen der Grundstückseigentümer (Land Berlin, Bahn AG und Vivico) eignet sich die Kunst bestens dazu, die erträumte Urbanisierung der Brache einzuleiten, um schließlich das Gesicht des gesamten Gebiets umzuwandeln. Ab 2010 soll hier ein neues Stadtquartier entstehen. Der prämierte Masterplan für das insgesamt 30 Hektar große Areal – doppelt so groß wie Daimler City und Sony-Center zusammen – sieht die Entwicklung eines großstädtischen Quartiers mit Kunstcampus, Marina, Restaurants, Wohnungen und Büros vor. Wohin die Kunst dann zieht?