: Im freien Fall
Seine Idee von Avantgarde kam in einem kammermusikalischen und entsprechend introvertiert wirkenden Free Jazz zum Ausdruck: Zum Tod des amerikanischen Jazzmusikers Jimmy Giuffre
von CHRISTIAN BRÖCKING
Der Film „Jazz an einem Sommerabend“ zeigt den Klarinettisten und Saxofonisten Jimmy Giuffre mit seinem schlagzeuglosen Trio und seiner Komposition „The Train and the River“ 1958, beim Newport Jazz Festival. Ornette Coleman und Albert Ayler probten bereits für den revolutionären Angriff auf die New Yorker Clubkultur. Auch Giuffres hatte sich von seiner Vergangenheit verabschiedet, von Jazzhits wie seiner Komposition „Four Brothers“ aus der Zeit mit Woody Herman, 1947.
Der Einfluss der Avantgarde werde immer noch zu sehr unterschätzt, sagt der heute in Frankreich lebende Bassist Barre Phillips, der mit Giuffre Mitte der Sechzigerjahre im gemeinsamen Trio „three sided music“ spielte. New York war sehr preiswert, man verdiente nicht viel Geld, doch man hatte viel Zeit, berichtet Phillips. Der Trompeter Don Ellis hatte damals einen Workshop, der einmal pro Woche in seinem großen Loft stattfand, und der offen für jeden war. Dort traf Jimmy Giuffre Ende der Fünfzigerjahre Ornette Coleman und beide beeinflussten sie sich schließlich gegenseitig sehr produktiv in der Entwicklung neuer Musik.
Der Bassist Steve Swallow und der Pianist Paul Bley firmierten mit Giuffre Anfang der Sechziger dann als Jimmy Giuffre 3 – das schlagzeuglose Trio wurde schließlich zum Inbegriff von Giuffres Vision einer kollektiven freien Improvisation. Im Unterschied zu den explodierenden Sounds der schwarzen Avantgarde machte Giuffre jedoch kammermusikalischen und entsprechend introvertiert wirkenden Free Jazz. Die frei improvisierte Trio-Aufnahme „Free Fall“ wurde 1962 zum Streitfall: Was später als eine der wichtigsten Platten des Neuen Jazz bezeichnet wurde, fand anfangs vor allem erzürnte Kritiker und kaum Publikum.
Als Giuffre 3 in einem New Yorker Coffee Shop seine Musik vorstellte, ließ man nach dem Konzert den Hut rumgehen: 35 Cents für jeden sei die Gage gewesen, berichtet Giuffres Witwe. Guiffre selbst hat seine einzigartige Musik als „blues-based folk jazz“ bezeichnet. Anfang der Neunzigerjahre kam es zu einer Reunion mit Swallow und Bley und einigen letzten Einspielungen: „The Life of a Trio“ (Owl, 1989) und „Conversations with a Goose (Soul Note, 1993).
In Europa habe man ihn bis zuletzt in guter Erinnerung behalten, Briefe von Fans kamen auch noch, als er nicht mehr darauf antworten konnte, sagt Juanita Giuffre, die den Musiker und Komponisten 1961 heiratete. Sie begleitete und pflegte den seit Anfang der Neunziger an der Parkinsonkrankheit leidenden Jimmi Giuffre, der jetzt am 24. April, zwei Tage vor seinem 87. Geburtstag, in Pittsfield, Massachussetts, gestorben ist.