: „Alle wollen gesehen werden“
Den Kernsatz der Methode „Gewaltfreie Kommunikation“ kennt fast jeder aus Beziehungsstreitereien: „Ich mache dir keinen Vorwurf, sondern spreche jetzt von mir.“ Auch im Arbeitsalltag könne dieser Satz helfen, sagt die Mediatorin Anja Kenzler
ANJA KENZLER, Jahrgang 1964, studierte Sozialpädagogik auf Diplom und arbeitet als Mediatorin sowie Ausbilderin beim Bundesverband Mediation.
Interview: Teresa Havlicek
taz: Frau Kenzler, wo beginnt Gewalt für Sie? Im Büro prügelt man sich ja eher selten …
Anja Kenzler, Geschäftsführerin der „a.k.demie für Mediation und Trainig“: Der Name impliziert natürlich, dass Gewalt vorhanden ist. Das muss nicht immer körperliche sein, Gewalt hat ihren Beginn schon in Sprache oder Gestik. Beispielsweise wenn jemand die Augen rollt. Da entstehen schnell Verletzungen verbaler Natur. In Konfliktfällen wissen die Menschen häufig aus lauter Hilflosigkeit nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen und hören einfach auf, miteinander zu reden. Das kann auch sehr gewaltvoll sein. Oder es kommt zu heftigen Auseinandersetzungen und Ausgrenzungen.
Treten Konflikte eher in Teams mit flachen Hierarchien auf oder zwischen oberen und unteren Hierarchieebenen?
Konflikte treten überall auf. Je länger ein Konflikt schwelt, desto mehr weitet er sich in einem Betrieb auf andere Personen aus. Ein frischer Konflikt beginnt meist zwischen zwei Personen, kann aber über die Zeit zu ganzen Teamspaltungen führen. Es werden Koalitionen gebildet, die einen stehen mehr zur einen, die anderen zur anderen Konfliktseite. So können Konflikte auch hierarchieübergreifend werden, auch wenn sie auf einer Ebene begonnen haben.
Der Ursprung sind immer Reibereien zwischen Personen?
Nein, manchmal zeigen sich in Konflikten auch strukturelle Probleme. Gerade heutzutage, wo Arbeitsplätze eingespart werden und die Arbeit für den Einzelnen mehr wird. Dann stellt sich bei der Mediation heraus, dass es sich eigentlich um einen Konflikt in der Führungsetage handelt. Bei der Mediation steht dann die Frage an, wer zum Konflikt dazu gehört und ob eigentlich die richtigen Leute am Tisch sitzen. Eventuell müssen dann höhere Hierarchien zur Mediation hinzukommen.
Wie weit kann durch eine Mediation bei Konflikten, die durch strukturelle Probleme wie Stellenkürzungen entstehen, eine Lösung für alle Seiten gefunden werden?
Bei der Mediation geht es auch darum herauszufinden, was eine Stellenreduzierung für die einzelnen Mitarbeiter überhaupt bedeutet. Oft fehlen einfach nur Information und Transparenz und es ist nicht allen klar, warum sich der Arbeitsalltag verändert. Erklärt die Geschäftsleitung, was hinter Veränderungen steht, ändert sich oft die Haltung der Mitarbeiter. Es muss aber auch geschaut werden, was mit dem vorhanden Stellenschlüssel überhaupt noch geleistet werden kann.
Welche Dynamik steckt hinter Konflikten, die über lange Zeit schwelen und immer weitere Kreise ziehen? Fehlt nicht einfach nur ein offenes Wort?
Ja, aber es sagt sich leicht, ein frühes Wort hätte geholfen. Das fällt vielen Leuten schwer. Oft bleiben Dinge lieber unausgesprochen. Man wartet, bis das Fass zum Überlaufen kommt, und dann knallt es richtig! Es steckt aber bereits eine Geschichte dahinter. Klärt sich ein Konflikt, über den jahrelang nicht offen gesprochen wurde, sagen die Parteien oft: „Mensch, wegen so was haben wir nicht mehr miteinander geredet!“
Woran liegt diese Konfliktscheue?
Meiner Meinung nach hakt es oft an der Art, wie Menschen gelernt haben, mit Konflikten umzugehen. Die jüngere Generation hat da aus der Erziehung ganz andere Dinge mitgenommen als beispielsweise die Nachkriegsgeneration. Ich finde, da ist momentan einiges im Wandel begriffen. Lange Zeit meinte man, Konflikte selber klären zu müssen und niemanden von außen dazu zu holen. Heute verlangt man nicht mehr von sich, immer alles selbst können zu müssen und ist eher bereit, sich Hilfe zu holen. Das beobachte ich auch häufig beim Generationswechsel in Familienunternehmen.
Da krachen die unterschiedlichen Mentalitäten aufeinander?
Ja. Konflikte fangen in Familienunternehmen häufig schon an, wenn es um die Entscheidung geht, überhaupt an die nächste Generation abzugeben. Da spielt dann auch die jeweilige Familiengeschichte hinein. Unternehmen leiden oft auch wirtschaftlich, wenn die Übergabe bei Generationswechseln nicht klappt. Das ist natürlich tragisch.
Wie geht die nachrückende Generation mit den Konflikten um?
Die ist bei Problemen offener gegenüber Unterstützung von außen. Mittlerweile werden Unternehmen bei Konflikten grundsätzlich früher aktiv. Mediation ist in den letzten Jahren bekannter geworden und hat sich etabliert. Bis vor einigen Jahren wurde Mediation ja gerne mit Meditation verwechselt.
Kommt der Impuls, Konflikte anzugehen, meist aus den Führungsetagen?
Nein. Die Notwendigkeit, Konflikte anzugehen ist insgesamt gewachsen, weil man stärker auf seinen Job angewiesen ist. Vor 20 Jahren konnten sich die Leute noch relativ einfach einen neuen Arbeitsplatz suchen, wenn es für sie nicht mehr weiterging. Bei der heutigen Arbeitsmarktsituation findet man schwerer eine Jobalternative. Da ist es dringender, Lösungen für Konflikte am Arbeitsplatz zu finden. Denn wenn man die einfach nur aussitzt, lösen sie sich nicht. Es geht nur Energie und Kraft in den Konflikten verloren. Letztendlich hat das dann Auswirkungen auf die Qualität der Arbeitsergebnisse, bis hin zu richtigen Arbeitsausfällen durch Krankheit.
Sind Mediation, Konfliktklärung und eine verbesserte Kommunikation im Endeffekt nicht nur Maßnahmen, um Arbeitsabläufe reibungsloser und produktiver zu gestalten?
Natürlich, aber nicht nur. Wenn Mitarbeiter zufriedener sind, erhöht das auch ihre Motivation. Das ist das unternehmerische Interesse. Der Ursprung unternehmerischen Erfolgs liegt auch in der Mitarbeiterzufriedenheit, das lässt sich nicht trennen.
Geht es um ein wirkliches Interesse für den einzelnen Mitarbeiter?
Für mich als Mediatorin geht es immer um eine wertschätzende Haltung gegenüber dem Einzelnen und ein echtes Interesse am Menschen. Den Unternehmern geht es nach meinem Eindruck nicht nur um die Arbeitskraft, sondern auch um den Menschen dahinter. Letztendlich wollen doch alle gesehen werden und brauchen Anerkennung. Egal, ob es sich um Chef oder Mitarbeiter handelt.