Igitt, ins Feuer damit!

NS-Bücherverbrennungen begannen nicht am 10. Mai 1933, sondern vier Tage früher – mit Magnus Hirschfeld

Jahrestage bieten einen bewährten Modus, Vorschläge zum Innehalten zu unterbreiten. Das ist zu jedem Holocaustgedenktag so, und die Republik weiß auch, dass rund um den 9. November mancherlei ins Gedächtnis gerufen werden soll. „Reichskristallnacht“, Verkündung der ersten nachkaiserlichen Republik, der Fall des Eisernen Vorhangs zum Westen in der DDR. In diesen Tagen jährt sich die nationalsozialistische Bücherverbrennung zum 75. Mal. Am 10. Mai 1933 habe das völkische Regime im öffentlich inszenierten Feuerschein Literarisches verbrannt, das nicht mehr erwünscht war.

Das Problem ist nur: Das zu erinnernde Ereignis begann vielmehr an einem 6. Mai. Hat das alle Welt immer falsch verstanden? Nein. Vom 10. Mai 1933 an sind Bücher von Autoren und Malern der Inkriminierung preisgegeben worden, die kommunistisch oder sozialdemokratisch, manchmal bürgerlich begriffen wurden, Walter Rathenau, Heinrich Mann, Stefan Zweig, Otto Dix, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky und andere. In Wahrheit aber galt, und das keineswegs absichtslos, der erste Hassangriff dem Institut für Sexualwissenschaft des Mediziners und Bürgerrechtlers Magnus Hirschfeld und den Schriften des Vaters der Psychoanalyse, Sigmund Freud.

Die Nazis (und die mit ihnen alliierten klerikalen Kräfte) hatten gewiss auch die bolschewistische Literatur im Auge, die zählte auch zum „undeutschen Geist“, aber in erster Linie zum schmuddeligen Genre des Sexualaufklärerischen, das sich mithilfe der Wissenschaft der Norm widersetzte, nur Heterosexuelles sei menschlich und gesund. Hirschfelds Archivalien und seine Institutsibliothek wurden in Brand gesteckt; unschätzbar der Verlust an Protokollen von Befragten – ganz im Sinne der Täter, die das Wissen um Sexuelles auslöschen wollten. Der Feuerspruch lautete: „Gegen die seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens“. Das war auf Hirschfeld gemünzt, auch wenn dieser nie von Trieb (wie Freud) sprach, sondern von Veranlagung (heute als irrig erkannt).

Dieses Datum war der Auftakt des rasenden Volksdeutschen, nicht der allgemein kanonisierte 10. Mai 1933. Und warum? Weil die Antifas (ob sozialdemokratisch, bürgerlich, kommunistisch) lieber nichts mit den Bäh&Igitt-Forschungen der Sexualwissenschaftler zu schaffen haben wollten. Bis 1969 galt die Nazi-Gesetzgebung gegen Homosexuelle; Linke wollten in der Regel mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nie in Verbindung gebracht werden. Kein Wunder, dass Berlin es bislang nicht geschafft hat, eine Straße nach Hirschfeld zu benennen – erst heute wird ein kleines Stück Spreeufer mit dem Namen des wichtigsten Lobbyisten gegen Homophobie des Kaiserreichs und der Weimarer Republik versehen. Und auch dies ist nur der zähen Arbeit des Lesben- und Schwulenverbandes zu danken. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries wird bei der Zeremonie dabei sein. Schön. Aber wo bleibt seitens der Union, muss ja nicht gleich Merkel sein, das Bekenntnis zur Ehrung dieses mutigen Mannes? Am Abend schließlich wird eine Hirschfeld ehrende Ausstellung im Medizinhistorischen Institut der Charité, Universitätskrankenhaus Berlins, eröffnet, programmatisch-passender Titel: „Sex brennt“. Allein: Für diese Schau gab’s Geld, für eine internationale Konferenz zum Thema gab es keinen Cent.

Offen ist jetzt noch die Frage: Weshalb wird nicht ein prominenterer Platz für eine Ehrung Hirschfelds erwogen – etwa am Brandenburger Tor? Ist den (heterosexuellen) Eliten der Republik das Thema immer noch zu schmutzig? JAN FEDDERSEN