Elbvororte gehen auf die Straße

Der Streit ums Schulsystem wird in Hamburg mit Unterschriftenlisten ausgetragen. Mit einer Volksinitiative wollen Gymnasial-Eltern die sechsjährige Grundschule stoppen. Das konkurrierende Volksbegehren „Schule für alle“ ist schon einen Schritt weiter

VON KAIJA KUTTER

Wer steht in Hamburg auf, um das Gymnasium vor schwarz-grünen Schulplänen zu retten? Die üblichen Verdächtigen, die Reichen und Vornehmen in den edlen Elbvororten? Bei einem „Kick Off“-Treffen der Volksinitiative „Wir wollen lernen“ sah es genau danach aus. Vielleicht war der Ort, das Gymnasium Hochrad in Othmarschen, ungeschickt gewählt: vor dem Schultor Villen, dahinter ein Golfplatz. Aber eben hier ist Walter Scheuerl Elternratsvorsitzender, und Scheuerl hat die Sache in die Hand genommen. Ein Anwalt in dunklem Anzug, der ein „effizientes Treffen“ durchzieht und zum Sprachrohr wird für entrüstete Gymnasiumsmütter mit Sonnenbrillen im Haar.

Die Aula war nicht mal halb gefüllt. „Wir haben es mit dem HSV und sehr gutem Wetter zu tun“, sagt Scheuerl. „Wenn ich alle E-Mails, die ich bekommen habe, auf einen Stuhl legen würde, wäre es hier voll.“

Walter Scheuerl hat eine straffe Tagesordnung. Er will nicht diskutieren, ob die von der neuen Grünen-Bildungssenatorin Christa Goetsch geplante sechsjährige Primarschule etwas taugt, er will eine Volksinitiative dagegen organisieren. Scheuerl weiß, dass das für die anwesenden Eltern eine ungewohnte Aktionsform ist. Die Eltern, die ihr Kind lieber auf dem Gymnasium sehen, seien „diejenigen, die sich um die Erziehung ihrer Kinder kümmern, Hobbies und einen Beruf haben und nicht gewohnt sind, auf die Straße zu gehen“, erklärt der Anwalt.

Eine Volksinitiative braucht in der ersten Stufe 10.000 Unterschriften, bevor sich die Bürgerschaft mit dem Anliegen befasst. Die möchte man schnell sammeln, am besten das Fünffache, um kurz vor der Sommerpause die CDU-Abgeordneten unter Druck zu setzen, die im Wahlkampf noch die Gymnasien retten wollten und jetzt schweigen. Gelingt das nicht, bleibt Stufe zwei und drei, das Volksbegehren und der Volksentscheid, für die zunächst ein Zwanzigstel und dann ein Fünftel der Wähler nötig sind. Aber letztlich das Parlament zwingen, die Primarschule zu erhalten, das könne man nicht. „Wir sprechen hier über politischen Druck“, sagt Scheuerl.

Es werden Formalia geregelt, Vertrauenspersonen gesucht, meist Väter, die Anwälte sind, und dann doch ein wenig diskutiert, ob der Text, den man unterschreiben lassen will, sich wirklich nur um Gymnasien drehen soll. Das aber nur kurz, weil Scheuerl alles weitere per E-Mail regeln will. Ziemlich bald ist die Versammlung beendet, doch die Leute bleiben im Saal und reden erregt über das Chaos, das auf die Schulen zukommt. Abwarten, was die vor wenigen Stunden gewählte Senatorin plant, will man auf keinen Fall. Man will mobilisieren.

Am anderen Morgen, bei der Konkurrenz, ist die Stimmung entspannter. Denn in Hamburg gibt es eine zweite Volksinitiative, die bereits seit Oktober aktiv ist und mit der zehnjährigen „Schule für alle“ das exakte Gegenteil anstrebt. 15.500 Unterschriften bekam sie vor Weihnachten zusammen, gestern wurde die zweite Etappe, das Volksbegehren, angemeldet, für das im Herbst 62.000 Unterschriften nötig sind.

Angst, dass ihr Anliegen im Strudel der schulpolitischen Auseinandersetzung untergeht, haben die Initiatoren nicht. „Wir finden, dass wir mit unserer Schule für alle bis zehn eine klare Position haben und damit im Vorteil sind“, sagt der GEW-Vorsitzende Klaus Bullan.

Der schwarz-grüne Kompromiss der sechsjährigen Grundschule geht der Initiative nicht weit genug. Hinzu kommt, dass einige Primarschulen an Gymnasien angesiedelt sein sollen. „Das bringt erhebliche Nachteile und Besorgnisse für Eltern mit sich“, sagt Sprecherin Karin Medrow-Struß. Weil es von vielen Seiten Kritik an diesen Details gibt, erhofft sich „Schule für alle“ viele Unterschriften.

Sorge wegen der anderen Volksinitiative habe sie nicht. „Wir fürchten uns nicht davor, diese inhaltliche Auseinandersetzung zu führen“, sagt Medrow-Struß. „Wir haben viel bessere Argumente“, ergänzt Mitinitiatorin Elke Andresen und verweist auf die besseren Test-Ergebnisse aus anderen Ländern, die die Schule für alle schon haben.

Auf jeden Fall hat die Initiative das bessere Timing. Sollte es ihr gelingen, ihr Gesetz für die Schule für alle per Volksentscheid durchzusetzen – der früheste Termin wäre die Europa-Wahl im Juni 2009 – gäbe es laut Volksabstimmungsgesetz eine zweijährige Schonzeit. Innerhalb derer könnte die Schule für alle nicht durch andere Volksentscheide gekippt werden – die Elbvororte hätten das Nachsehen.