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Archiv-Artikel

Saatgut ist Kulturgut

Die Renditeerwartungen von Saatgut-Unternehmen bedrohen die Ernährungssouveränität

Wir brauchen eine ganzheitliche Züchtung

Der Markt für Agrarrohstoffe und damit auch für Nahrungsmittel boomt zur Zeit. Finanzfachleute sehen darin erst den Anfang eines langfristigen Trends und „Beginn der längsten Rallye der Geschichte“ (Wirtschaftswoche Nr. 10 vom 3. 3. 2008). Dem Saatgut kommt dabei eine Schlüsselstellung zu, denn es ist weltweit die Grundlage für unsere Ernährung. Und wer das Saatgut beherrscht, bestimmt, was wir und unsere Kinder auf den Teller bekommen.

Auffallend ist, dass mit zunehmender Privatisierung des Saatgutsektors den Sorten der eigentliche Sinn von Saatgut weggezüchtet wird. Nämlich die Fruchtbarkeit. Saatgut war seit Jahrtausenden ein Kulturgut und zeichnete sich durch beste Nachbaueigenschaften aus. Modernes Saatgut hingegen kann aufgrund von Hybridisierung, Patenten oder Gentechnik von den Landwirten im nächsten Jahr nicht wieder verwendet werden. Kurz gesagt: Kommerziell gezüchtetes Saatgut zeichnet sich durch Unfruchtbarkeit aus.

Heute zeigt sich, wie lohnend die Strategie vieler Chemiekonzerne seit Ende der 80er-Jahre war, sich zunehmend durch Firmenübernahmen in den Saatgutmarkt einzukaufen. In der Folge sind heute die drei größten Agrarchemiekonzerne zugleich die drei größten Saatgutanbieter (Monsanto, DuPont-Pioneer, Syngenta)! Vor 25 Jahren gab es noch mindestens 7.000 Züchtungsunternehmen weltweit. Keines davon hatte global einen Marktanteil von über 1 Prozent! Heute beherrschen die zehn größten Agrokonzerne über 50 Prozent des Saatgutangebotes. Mit Abstand der größte ist Monsanto. Allein in den letzten 8 Jahren hat das US-amerikanische Unternehmen für mehr als 13 Milliarden Dollar Saatgutfirmen aufgekauft. Erst Ende 2006 wurde der elftgrößte Saatguthersteller Delta and Pine Land zum Preis von 1,5 Milliarden Dollar übernommen. Delta and Pine Land besitzt auch die Patente für die Terminator-Technologie. Für den Bereich der gentechnisch veränderten Pflanzen ist Monsanto schon heute Monopolist: Über 90 Prozent aller gentechnisch veränderten Pflanzen weltweit stammen aus Monsantos Laboren. Und das Unternehmen besitzt weit über 600 Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen. Auch in den nächsten Jahren erwartet Monsanto aus der Lizenzierung von gentechnisch veränderten Eigenschaften für Mais, Sojabohnen und Baumwolle betriebliches Wachstum. Bis zum Jahr 2010 will das Unternehmen für Mais die Sortengeneration „Smart Stax“ mit umfangreichen Herbizidtoleranzen und Insektizidresistenzen am Markt einführen. Sie könnte weltweit Zugang zu etwa 40 Millionen Hektar Maisanbaufläche eröffnen. Aufgrund der positiven wirtschaftlichen Entwicklung sieht sich Monsanto weiterhin in der Lage, neue Unternehmen zu akquirieren und kräftig zu investieren.

Für die Zukunft werden im Agrobusiness riesige Gewinne prognostiziert. Für das Geschäftsjahr 2007 hatte Monsanto einen Umsatzanstieg von 17 Prozent auf 8,56 Milliarden Dollar gemeldet, wobei die Saatgutsparte nach Angaben des Unternehmens überproportional zum Umsatzanstieg beigetragen hat. Zusätzlich wurde ein Gewinnsprung um 44 Prozent (!) auf fast 1 Milliarde Dollar erzielt. Während sich Bauern und Bäuerinnen oft kaum über Wasser halten können, verdienen andere an der Landwirtschaft ein Vermögen. Diese Absurdität zeigt, wie eng die Saatgutfrage mit gesellschaftlichen Fragen zusammenhängt. So warnte auch der Literaturnobelpreisträger Günter Grass in seiner Eröffnungsrede des 72. Internationalen PEN-Kongresses (Mai 2006), dass „wer den Markt für Grundnahrungsmittel beherrscht und also mit den Preisen steuernd über Mangel und Überfluss verfügt, keinen herkömmlichen Krieg mehr führen muss“. Andere Visionen und Leitbilder sind notwendig! Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass Saatgut keinen kommerziellen Interessen unterworfen werden darf. Ganzheitliche Züchtungsansätze, die unter anderem Geschmack, regionale Sorteneignung und Pflanzengesundheit für Low-input-Systeme verfolgen und die natürliche Fruchtbarkeit der Pflanzen erhalten, sind in den letzten 20 Jahren im ökologischen und biologisch-dynamischen Landbau entwickelt worden. Den Visionen der Gentechnik – Ertragserhöhung, Kostensenkung, Zentralisierung und Vereinheitlichung – setzen die Befürworter einer ganzheitlichen Pflanzenzüchtung eine Vielfalt der Kulturen und Sorten, Regionalisierung, Partizipation durch Beteiligung von Gärtnern und Landwirten und Lebensmittelqualität entgegen. Diese Züchtungsarbeit wird vorrangig in freien, gemeinnützigen Forschungsinstitutionen und -initiativen geleistet. Über den Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft unterstützen viele tausend SpenderInnen diese Ziele. Denn für eine eigenständige ökologische Züchtungsforschung ist es fünf vor zwölf! So wie Strom nicht einfach aus der Steckdose kommt, kommt Saatgut nicht einfach nur aus dem Sack. OLIVER WILLING

Weitere Infos: www.zs-l.de/