: Von wegen Klimaschutz!
Für die oft angeführten Vorteile pflanzlicher Treibstoffe fehlen wissenschaftliche Belege. Die Alternative zum Erdöl schafft neue Abhängigkeiten
VON STEPHAN ALBRECHT
Seit einigen Jahren werden Treibstoffe, die aus Pflanzen gewonnen werden, vor allem Ethanol und Diesel, sowohl in den USA und in Europa, aber auch in einigen anderen großen Ländern wie Brasilien oder China als eine Möglichkeit der Ersetzung fossiler Treibstoffe angesehen. Eine ganze Reihe von Staaten hat sogar mittlerweile mengenmäßige Vorgaben politisch beschlossen, in denen Anteile von pflanzenbasierten Treibstoffen am Kraftstoff festgelegt werden.
Viele offene Fragen
Dabei ist aus wissenschaftlicher Sicht auf den ersten Blick recht erstaunlich, dass die politischen Festlegungen und die öffentliche Diskussion zu dem Thema ebenso wie die damit verbundenen finanziellen Förderungen für die Konversion von Nutzpflanzen in Treibstoffe so gut wie gar nicht die vorhandenen wissenschaftlichen Kenntnisse zu den Energiebilanzen, den Flächenansprüchen und den daraus folgenden Flächenkonkurrenzen und den internationalen politischen Implikationen großvolumiger Produktion und Konsumtion von Pflanzentreibstoffen in die Willensbildung und die Entscheidungsfindung einbezogen haben. Knapp zusammengefasst lassen sich zu den drei oben genannten Punkten folgende Aussagen als wissenschaftlich gesichert feststellen: Je nach Pflanzenart, Klimaregion, Anbaumethodik und Verarbeitungsprozeduren ergeben sich recht unterschiedliche Energie- und CO2-Bilanzen (die Ergebnisse variieren noch weiter, je nachdem, ob die CO2-Belastungen der eingesetzten Maschinerie in Anbau und Verarbeitung mit eingerechnet werden oder nicht). Bereits die in den letzten fünf Jahren eingetretenen Flächennutzungen für Treibstoffzwecke, vor allem in den USA, aber auch in asiatischen Ländern, haben zu zwei hoch unerwünschten Effekten geführt: der rasanten Verteuerung von Grundnahrungsmitteln wie Mais, Reis und anderem Getreide sowie zu einer neuerlichen rapiden Zunahme der Zerstörung von primärem Wald, z. B. zur Anlage von Plantagen; die enormen Flächenansprüche, die aus einer großvolumigen Pflanzentreibstoffherstellung resultieren, sind einfach ein biophysikalisches Faktum, das sich jedenfalls beim Einsatz annueller Pflanzen, die als Monokulturen gezogen werden, oder bei Plantagen nicht wesentlich verändern lässt.
Neue Ahängigkeiten
Die Intention der Förderung von Pflanzentreibstoffen in vielen Industrieländern, nämlich die Abhängigkeit von wenigen, politisch nicht unbedingt stabilen und/oder demokratieorientierten Erdöl- und Erdgaslieferländern zu verringern, wird absehbar ersetzt durch eine neue Abhängigkeit von wiederum ganz wenigen diesel- und ethanolliefernden Ländern, die politisch nicht unbedingt weniger problematisch sind, weil einheimische Großgrundbesitzer und andere Oligarchen, oft in Verbindung mit transnationalen Konzernen, das Pflanzentreibstoffgeschäft unter sich ausmachen, zu Lasten oder unter Vernachlässigung der ärmeren Bevölkerung. Es ist ein wichtiges und positives Element der UNO, dass mittlerweile in ihren Fachorganisationen und auch durch die wissenschaftlichen Netzwerke diverser Konventionen und globaler Assessments Kapazitäten aufgebaut worden sind, die komplexe Fragen der Weltentwicklung aufbereiten und so für politische Entscheidungsprozesse Grundlagen bereitstellen können. So sind in diesen Zusammenhängen relativ früh die zentralen Fragen der Implikationen einer weltweiten Ökonomie von Pflanzentreibstoffen aufgeworfen worden: Es gibt nur einige wenige Länder, die überhaupt in der Lage wären, relevante Mengen von Treibstoffen für den Weltmarkt zu produzieren. Schon jetzt gibt es eine scharfe Konkurrenz zwischen Nahrungsmittel- und Treibstofferzeugung – die Orientierung auf Treibstoffe für den Export verringert die Möglichkeiten der Nahrungsmittelversorgung für die einheimische Bevölkerung. Dabei sind die klimatischen und geologischen Bedingungen für eine relativ ertragsstarke Erzeugung von Nutzpflanzen für Treibstoffzwecke nur in wenigen Ländern überhaupt gegeben.
Überhaupt können die riesigen Mengen Treibstoff, die die Automobile in Nordamerika und Europa verbrauchen, auch bei rabiater Ausnutzung von Flächen nur zu einem kleinen Teil durch Pflanzentreibstoffe ersetzt werden. Dabei muss bewusst gemacht werden, dass eine starke Nachfrage nach Pflanzentreibstoffen aus großen Ländern der OECD einen hoch problematischen Anreiz für den internationalen Agrarhandel darstellt. In den Industrieländern sind Pflanzentreibstoffe nur mit erheblichen Subventionen zu halbwegs marktgängigen Preisen herstellbar – dieser Umstand kanalisiert die in der EU und den USA verausgabten Subventionen zwar neu, zementiert sie aber dadurch zugleich. Der Zickzackkurs, den die EU-Kommission mit Unterstützung des Rates in Sachen Pflanzentreibstoffe – hier sogar gegen die klaren Aussagen der wissenschaftlich Sachverständigen – fährt, ist nicht sinnvolle Klimaschutzpolitik, sondern alte Interessenpolitik, die vor allem zwei Interessentengruppen entgegenkommt: der großagrarischen Lobby und der Automobilindustrie, vor allem denjenigen Konzernen, die große, schwere und verbrauchsstarke Automobile herstellen (z. B. Mercedes, Audi, BMW).
Wenn man die seriösen, i. e. die nicht interessengebundenen wissenschaftlichen Arbeiten zu den Potenzialen und Implikationen von Pflanzentreibstoffen ansieht, so zeichnen sich folgende mögliche Perspektiven ab: die mengenmäßigen Beimischungsziele für Pflanzentreibstoffe in der EU und den einzelnen Staaten sollten zurückgenommen werden; die Förderung der energetischen Nutzung von Biomasse soll auf Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung, die entweder durch Hackschnitzel aus Holz oder durch Gülle/Reststoffe beliefert werden, konzentriert werden; um die weitere globale Verteuerung der Preise für Grundnahrungsmittel zu bremsen, ist die Nutzung der vorhandenen Flächen für die Erzeugung von Nahrungsmitteln absolut prioritär; es dürfen keine neuen Subventionstatbestände in der Landwirtschaft der EU geschaffen werden – die durch das weltweite Bevölkerungswachstum langfristig absehbare stärkere Nachfrage nach Lebensmitteln ermöglicht der Landwirtschaft auch in der EU ein Wirtschaften mit auskömmlichen Erzeugerpreisen; wichtig sind die Beschneidung der Macht der großen transnationalen Handelskonzerne im Nahrungsmittelsektor und die weltweite Förderung des Fairen Handels, von Bananen bis Reis und Zucker, um längerfristig angemessene Erzeugerpreise zu sichern
Stephan Albrecht arbeitet an der Universität Hamburg und ist Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW)