: Strippen im Millimeter-Wave-Portal
Die USA haben trotz 9/11 und der üblichen Paranoia nicht ihren Sinn fürs Zwischenmenschliche verloren
Ist es nicht ein kleines bisschen verkehrt herum, dass ich vor meinem amerikanischen Arzt nur im Papierkleidchen erscheinen darf – aber bald vor dem Grenzer am John-F.-Kennedy-Flughafen die Hüllen fallen lassen muss? Ist es nicht irgendwie komisch, dass ich zu meiner eigenen Sicherheit vor dem US-Onkel-Doktor alle geschlechtstypischen Körperteile bedecken soll, aber zur Sicherheit einer ganzen (noch dazu prüden) Nation von den Brustwarzen abwärts alles entblößen muss? Und dass dieses neue Freakprogramm dann auch noch „Checkpoint Evolution“ heißt? Gemeint ist damit tatsächlich, dass sich die Checkpoints, wo sich bisher alle US-Flugpassagiere die Beine in den Bauch gestanden haben, nun „weiterentwickeln“ werden. Schließlich stehe auch der Terrorist nicht still, werde ich belehrt.
Schon jetzt gibt es in den USA die ersten 600 „whole body imagers“, also telefonzellengroße Maschinen, in die man sich begibt. In denen erstellt eine Art Röntgenstrahl ruck, zuck ein komplettes 3-D-Bild von mir – nackt natürlich. Dabei werden dann nicht nur Teppichmesser und Flüssigsprengstoffe in Wasserflaschen sichtbar, die ich mir mal wieder in die Strümpfe gesteckt haben könnte, sondern auch – die Technik ist halt gründlich – Narben, Intimschmuck, Leberflecke, Brustwarzen und auch das Gemächte.
Die Security-Peepshow bedeutet dabei keinesfalls, dass das lästige Taschenscannen, Schuheausziehen und das entwürdigende Abnehmen der Wasserflasche und der übersehenen Nagelschere entfallen. Nein, die „Evolution“ liegt allein darin, dass das Checkpointpersonal in Zukunft tiefere Einblicke haben wird: Na, ist alles Natur oder Push-up? Hat der Kerl mit der Bodybuilderfigur wirklich nur einen so winzigen? Der CNN-Reporter, der das Gerät erstmals für die Öffentlichkeit testen sollte, steckte sich jedenfalls vorsichtshalber eine Eisenplatte vor den Schritt.
Vom Heimatschutzministerium heißt es prompt, der Kontrollbildschirm werde in einem separaten Raum stehen. Also von Transparenz und Spaß für alle mal wieder keine Spur in diesem protestantischen Bootcamp. Das Prozedere wird dafür ein echter Sinnengenuss, verspricht mir der Minister. Die Sicherheitskontrolle à l’Americaine sieht dann so aus, dass ich im Gänsemarsch in eine mit kühlen, also beruhigenden Farben gehaltene „Wartezone“ einrücke. Dazu gibt’s stimmungsvolle Aufzugmusik, auch die soll beruhigen.
Offenbar haben Flugpassagiere, glaubt man medizinischen Pulsmessungen, längst mehr Angst vor dem Kontrollprozedere als vor dem Flug selbst. Wir Zwangsstripper sollen daher von Flachbildschirmen abgelenkt werden, die uns „informieren“ – wahrscheinlich meinen sie diese vertrauenerweckenden CIA-Videos, auf denen man US-Soldaten im Krieg gegen den Terror wild um sich ballern sieht. Dann geht’s, nach der Ausweiskontrolle, rapp, zapp, in die 3-D-Box zum „Millimeter-Wave-Portal“, tut auch gar nicht weh. Meine Tasche soll ich obendrein durch eine Plexiglaswand im Scanner mitverfolgen können – na, danke, darauf könnte ich gern verzichten.
Zum Schluss wartet auf mich die ergonomische „Re-composure“-Sitzbank, was sich wirklich nur so umschreiben lässt: „die Bank zur Rückgewinnung der Selbstbeherrschung“, auf der ich mein nacktes Selbst und die Schuhe wieder einsammeln soll.
Dabei kommt das Beste noch: Nachdem ich genetisch durchleuchtet und decodiert bin und datenvorratsgespeichert alles hinter mich gebracht habe, werde ich auch noch in die „End Zone“ abgeschoben. Das evolutionäre Trostpflaster: Hier darf ich dann auf meine Lieben warten. Na also, glauben Sie bloß nicht, die USA hätten in Zeiten der Sicherheitsstufe „Orange“ (gilt seit dem 11. September) ihren Sinn fürs Zwischenmenschliche verloren.
Und Sie dachten allen Ernstes, die zehn Fingerabdrücke, die wir bei der Einreise in die USA abdrücken müssen, sind ein Orwell’sches Schreckensszenario? Na, dann welcome! Zum Strippen im Millimeter-Wave-Portal, yeah!
ADRIENNE WOLTERSDORF über OVERSEAS
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