: Abwicklung am Fließband
Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Managergesicht: Andreas Siekmann inszeniert die Abwicklung der DDR-Volkswirtschaft in der Galerie Barbara Weiss prägnant didaktisch als Miniaturentheater mit Flussdiagramm-Ästhetik
Fließbanderfinder Henry Ford hätte das wohl kaum gefallen: Auf einem Laufband ziehen nutzlose Papierfiguren durch den Raum, die auch noch unternehmerfeindliche Szenen abbilden. Ein Bonze lässt sich in einem Auto chauffieren, das mit der Aufschrift „VIP-Tours“ verziert ist. Skrupellose Herren in Anzügen erläutern explodierende Produktivitätskurven.
Anderswo sitzen Angestellte vor ihren Computern, während clevere Berater im Türrahmen ihnen das Ticket für die Zukunft schmackhaft machen wollen: ein ABM-Prospekt oder ein paar Tausender als Abfindung. Das Fließband zuckelt weiter und quietscht dabei erbärmlich.
Es ist der Künstler Andreas Siekmann, der hier einmal mehr die Zusammenhänge der neoliberalen Ökonomie als Info-Theater inszeniert. Im vergangenen Jahr stellte Siekmann bei der documenta ein sprichwörtliches Globalisierungskarussell vor, dessen rotierendes Figurenrepertoire den rechtsfreien Räumen der Sweatshops, zwischenstaatlichen Grenzstreifen und polizeilich definierten Sperrzonen entliehen war. Das quietschende Fließband in der Galerie Barbara Weiss verweist nun auf die Arbeit der Treuhandanstalt zwischen 1990 und 1994, bei der längst nicht alles wie geschmiert lief.
Drei Jahre und neun Monate, 13.800 abgewickelte ostdeutsche Betriebe. Durchschnittlich zehn Firmen am Tag. Auch das ist Akkordarbeit. Siekmann gelingt es, den ganzen Wahnsinn einer verschacherten Volkswirtschaft auf wenigen Ausstellungsquadratmetern abzubilden. In Schaubildern treten anonymisierte Arbeiter und Arbeiterinnen mit Schirmmütze und biederem Faltenrock auf, die nicht für sich selbst stehen, sondern immer gleich 100.000 Beschäftigte oder Arbeitslose repräsentieren; Verfügungsmasse also. An Tischen zanken derweil gesichtslose Brillenträger über Arbeitsplätze, Investitionszusagen, Shareholder Values. Uhren ticken wie beim Schachturnier.
All das wird in einem verkürzten Piktogrammstil erzählt, der an die klassenkämpferischen Bilder des „Kölner Progressiven“ Gerd Arntz erinnert. Siekmann hat sich glücklicherweise entschieden, die Treuhandmanager nicht in charakterisierenden Einzelporträts abzubilden wie weiland Hans Holbein d. J. seinen Kaufmann Georg Gisze, sondern bei der Darstellung auf eine viel zeitgemäßere Flussdiagramm-Ästhetik zurückzugreifen. So versteht man die ostdeutsche Privatisierungswelle als komplexes Gemeinschaftswerk, bei dem Alteigentümer, Investoren, Unternehmensberater und nicht zuletzt Politiker ihre Rolle spielten.
Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Bundeskanzlergesicht. Nur die stilisierte Menschenmenge mit den „D-Mark“-Transparenten verrät, dass hier Helmut Kohl die Ostdeutschen auf die Einheit einschwört. Es braucht schon eine Weile, bis man sich wieder in die einzelnen Aspekte eingelesen hat: Wer erinnert sich noch an die Abstimmung zum „Vermögenszuordnungsgesetz“ und die Kalikumpel im Hungerstreik mit ihrem Slogan „Bischofferode ist überall“?
Siekmanns prägnanter Didaktik – eine Mischung aus Kinderfibel und jenen postmodernen Hieroglyphen, mit denen Unternehmensberater in Flipchart-Präsentationen beeindrucken – ist es zu verdanken, dass man sich überhaupt wieder auf ein längst verdrängtes Thema einlässt.
Fast könnte es ein Trend sein: Thomas Demand erinnert in der Hamburger Kunsthalle an die kruden Begründungen von George W. Bushs Irakkrieg. Andreas Siekmann bereitet das ostdeutsche Trauma Treuhand wieder auf. Man kann sich nur freuen über diese Künstler, die gerne noch mal in zu früh geschlossenen Akten stöbern.
TIM ACKERMANN
„Verhandlungen unter Zeitdruck“ von Andreas Siekmann. Galerie Barbara Weiss, Zimmerstr. 88–91, Di.–Sa. 11–18 Uhr, bis 7. Juni