: Die Lebensverunsicherung
Mit „Longkamp“, einer Hörspielbearbeitung von Rolf Dieter Brinkmanns Tagebuch, startet am Samstag eine BR-Reihe
Der Hunsrück, Schauplatz großen Gefühls- und Seelentheaters: Regisseur Edgar Reitz verortete ab 1984 seine „Heimat“-Trilogie in dem rheinland-pfälzischen Niemandsland. Und schon 12 Jahre zuvor hat der Schriftsteller und Lyriker Rolf Dieter Brinkmann hier einige Wochen verbracht – zurückgezogen im Dorf Longkamp, auf sich selbst geworfen. Eine freiwillige Flucht aus der Stadt, die ihn in eine unfreiwillige Verunsicherung stürzt.
Brinkmanns Tagebuchaufzeichnungen aus der Zeit sind nun als Hörspiel bearbeitet worden. Titel: „Longkamp. Erkundung für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand: Träume/Aufstände/Gewalt/Morde/Reise/Zeit/Magazin“. Regisseur Ulrich Gerhardt lässt Sprecher-Star Christian Brückner den inneren Monolog Brinkmanns vortragen. Einzig durch die Einstellung der Mikrofone – so klingt Brückner mal nah, mal fern – ist spürbare Technik im Spiel. Sonst gilt: Brückner und Brinkmann, Brinkmann und Brückner.
Die Verwirrung des Beatpoeten findet Ausdruck im kompliziert additiven Titel – sonst schreibt Brinkmann gewohnt prägnant. „Angst blockiert das vegetative Nervensystem, ich weiß, dass ich so nicht weitermachen kann.“ Er sinniert über sein Leben in Köln, seine Beziehung, sein Schreiben. Er will sich entgiften, trinkt Bronchialtee, hört auf zu rauchen – und wartet vergeblich, dass sich seine „Aufgeputschtheit“ legt. „Der nächste Schritt ist ein Schritt zu mir, habe noch immer Angst vor mir.“ Dem fragmentarischen Dokument verhilft Brückner zu Zusammenhang. Stockend, gehetzt, nachdenklich interpretiert er den Bewusstseinsstrom.
Das 80-minütige „Longkamp“ ist der Beginn einer Brinkmann-Hörspielreihe im Bayerischen Rundfunk. Man hört, wie er mit seiner Frau über Teig plappert, auf das „verfaulte Westdeutschland“ schimpft oder eine Passantin fragt: „Wann haben Sie das letzte Mal gefickt?“ Brinkmanns Idee vom Gedicht als Snapshot lässt sich hervorragend auf das Medium Tonband übertragen. Er experimentiert mit Formen und Textsorten, vom unkommentierten Stöhnen bis zur reflektierten Darstellung seiner Kunstauffassung: „Ich schreibe nur noch für mich.“ Gut, dass er sich daran nicht gehalten hat. JUTTA HEESS
„Longkamp“, Samstag, 15.15 Uhr, BR2. „Auf der Schwelle“, 23. 5.; „Der Tierplanet“, 30. 5.; „Besuch in einer sterbenden Stadt“, 6. 6.; „Schnitte“, 13. 6.; „To a world filled with compromise we make no contribution“, 20. 6.; je 20.30 Uhr. Im Anschluss je ein Teil von „Wörter Sex Schnitt“