heute in bremen
: „Man muss das Ganze betrachten“

Wegen eines EuGh-Urteils soll die S-Bahn-Ausschreibung wiederholt werden. Heute wird es erklärt

taz: Herr Kuhn, hatten Sie geahnt, dass am Donnerstag das Lüneburger Verwaltungsgericht die Vergabe des S-Bahn-Auftrags wegen des EuGh-Urteils kippt, das heute Abend Thema ist?

Hermann Kuhn, europapolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion: Ehrlich gesagt, nein. Ich persönlich hatte mich um dieses Verfahren nicht gekümmert. Professor Josef Falke, der Referent, ist sicher näher dran am Vergaberecht und wird das erklären. Meine Sicht auf das Urteil ist eher eine europapolitische.

Zugespitzt besagt das Urteil: Örtliche Unternehmer sind an Ortstarife gebunden, auswärtige nicht. Manche befürchten deshalb das Ende nationaler Sozialstandards …

Stimmt, das Urteil hat Wellen geschlagen. Umso wichtiger schien es mir, zu verstehen, was es bedeutet.

Und das wäre?

Wenn ich die Philosophie der Richter richtig deute, erlauben sie es den Nationalstaaten durchaus, soziale Standards zu definieren. Zur Bedingung machen sie aber, dass diese für allgemeingültig erklärt werden. Gerade die Vergabe von öffentlichen Aufträgen ist ja besonders anfällig dafür, auswärtige Bewerber vorab auszusortieren.

Die Konsequenz wäre also: gesetzlicher Mindestlohn, wie in den anderen EU-Ländern?

Das wäre eine denkbare Folge, aber sicher nicht die einzige. Auch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist ein vom EuGh akzeptiertes Instrument. Uns geht es heute Abend um die politische Dimension: Welche Stellung hat die Entscheidung in der Entwicklung des Binnenmarktes, was bedeutet sie für die Reform der Vergabegesetze von Bund und Ländern? Wichtig ist dabei, dass man eben auch die andere Seite sieht: Dass hiesige Unternehmer in Holland oder in Frankreich Sonderregelungen nicht erfüllen können und damit faktisch von der Auftragsvergabe ausgeschlossen bleiben, kommt häufiger vor, als umgekehrt. Man muss das Ganze betrachten.

Es wird also ein Abend gegen Europa-Skepsis?

Gegen eine, die sich mit Halbwissen und Vorurteilen füttert mit Sicherheit. Skepsis mit Gründen ist aber herzlich willkommen.

fragen: bes

Europapunkt, Bürgerschaft, 20 Uhr