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Archiv-Artikel

Celle verbannt Ladendiebe

Niedersachsen führte das Aufenthaltsverbot im Polizeirecht ein, um Gewalt bei den Chaostagen zu verhindern. Celle nutzt das Gesetz dazu, auswärtige Kleinkriminelle von der Stadt fern zu halten. Wie oft sie erwischt werden müssen, ist unklar

VON CHRISTIAN JAKOB

Drei Jahre lang interessierte sich niemand so recht dafür. Doch als vor einigen Wochen die Städte Hannover und Peine ankündigten, Innenstadtverbote für Straftäter auszusprechen, da erinnerten sich Journalisten dunkel, dass es Ähnliches bereits in Celle gibt. Sie riefen bei Wolfgang Fischer an und fragten ihn nach dem „Celler Modell“. Fischer, bei der Stadt Celle zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, kannte ein solches zwar nicht, aber er erkundigte sich beim örtlichen Ordnungsamt. Und teilte den Fragenden schließlich mit: Schon seit 2005 werden in Celle Menschen, die mehrfach stehlen, aber nicht dort gemeldet sind, der Stadt verbannt – für bis zu einem Jahr.

Die Kommune beruft sich hierfür auf das „Niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ (NSOG). Darin steht: „Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird, so kann ihr verboten werden, diesen Bereich zu betreten.“ Die niedersächsische Landesregierung hatte die Paragraphen eingeführt, um eine Wiederholung der Chaostage von 1995 zu verhindern.

Die kreative Umwidmung des Gesetzes ist für den Celler Fachdienstleiter für Gemeindeordnung, Edgar Fricke, „ein Baustein der Prävention“. Oft sei es doch so: „Die Leute verlassen die Polizeiwache und werden eine Stunde später wieder erwischt.“ Damit sollte Schluss sein. Und deshalb beschloss die Stadt 2005 eine Zwangsgeldverordnung als Ergänzung des NSOG.

Seitdem hat die Polizei auf Basis dieser beiden Regeln gegenüber 31 Menschen ein Aufenthaltsverbot für die Stadt ausgesprochen, bewehrt mit der Androhung eines Zwangsgeldes von 250 bis 1.000 Euro. Alle 31 hatten Diebstähle begangen, teils soll es sich um Beschaffungskriminalität gehandelt haben. Von Raub oder Gewalttätigkeiten ist in der städtischen Statistik nicht die Rede.

Für ein solches Stadtverbot muss man „einschlägig aufgefallen“ sein, erläutert Fricke. „Wenn solche Personen in Celle ansässig sind, dürfen sie die Kernstadt nicht mehr betreten. Auswärtige erhalten ein Verbot für die Gesamtstadt.“ Die Verbote gelten sechs oder zwölf Monate. Bewohner der Umlandgemeinden können für Arztbesuche und ähnliche Anlässe vorab eine Ausnahmegenehmigung bei der Polizei beantragen. In Notfällen sei dies „selbstverständlich nicht notwendig“, sagt Fricke.

Was „einschlägig auffallen“ genau bedeutet, ist unklar. Eine Zahl, wie oft einer genau stehlen muss, um sich das vormodern anmutende Stadtverbot einzuhandeln, kann Fricke nicht nennen. Es seien jedoch mehrere Diebstähle nötig: „Das entscheidet die Polizei.“

Doch auch der Celler Polizeisprecher Christian Riebandt nennt keine Zahl. „Ein Diebstahl reicht nicht“, sagt Riebandt. Und zwei? „Theoretisch ja.“ Die Aufenthaltsverbote seien seit Jahren ein „probates Mittel“ zur Kriminalitätsbekämpfung. „Wir machen das ganz anders als Hannover, wo ja nur Gewalttäter ein solches Verbot kriegen.“

Eine Gefahrenprognose liege beispielsweise dann vor, wenn jemand wiederholt beim Klauen erwischt wird und sich „in einem Umfeld bewegt, dass zu Straftaten neigt“. Dabei gehe es natürlich nur um Diebstähle im öffentlichen Raum, sagt Riebandt. Zum öffentlichen Raum zählt er allerdings auch Geschäfte, „weil diese ja öffentlich zugänglich sind“ Bei Ordnungswidrigkeiten wie unerlaubtem Betteln oder Ähnlichem werde von der Regelung aber „auf jeden Fall nicht“ Gebrauch gemacht, versichert er.

Ob der vermeintliche Schutz einiger Celler Ladenbesitzer die Stadtverbote rechtfertigt, sei schwer zu sagen, meint der Bremer Rechtsanwalt und Bürgerrechtsexperte Rolf Gössner. „Immerhin werden hier wesentliche Grundrechte eingeschränkt.“ Das sei zwar aufgrund eines Gesetzes prinzipiell möglich. „Doch die vorgenommene Abwägung dürfe nicht dazu führen, wegen einer vagen Prognose möglicher künftiger Straftaten Eigentumsrechte höher zu werten als Freiheitsrechte“, findet der Anwalt.

Die Celler Verwaltung geht aber noch weiter. Nicht ohne Stolz berichtet der Polizeisprecher Riebandt, man nutze im Kreis Celle die Möglichkeit der „Gefährderansprachen“ und der „präventiven Aufenthaltsverbote“ auch bei profanen Anlässen. „Leute, die bei Schützenfesten und Osterfeuern gewalttätig werden, werden im nächsten Jahr vorher von Kollegen zu Hause aufgesucht“, sagt Riebandt.

Wo andernorts präventive Aufenthaltsverbote nur Hooligans und linken Polit-Aktivisten vor internationalen Fußballspielen und Großdemos blühen, sprechen Kommunen im Kreis Celle diese auch für Leute aus, die sich bei Volksfesten nicht im Griff haben. „Wir hatten dadurch in diesem Jahr keinen einzigen Vorfall bei den Osterfeuern“, sagt Riebandt. Dass derlei Doppelbestrafung unverhältnismäßig wäre, findet er nicht: „Die Leute schaffen ja selbst die Ursachen für unsere Maßnahmen.“