„Die können ganz schön aggressiv sein“

Den 25. Berliner Frauenlauf gewinnt die Favoritin Irina Mikitenko. Sie absolviert die 10 Kilometer in 32:24 Minuten. Wichtiger aber ist die große Zahl der Teilnehmerinnen im Tiergarten – und der jubelnden Männer am Streckenrand

„Frauen können genauso fighten wie Männer. Und das sollte auch mal im Vordergrund stehen“, sagt Charlotte Teske. Die ehemalige Weltklasse-Marathonläuferin aus Darmstadt sieht sich zufrieden um. Gleich wird sie den Startschuss zum 25. Berliner Frauenlauf im und rund um den Tiergarten geben. Mehr als 13.000 Starterinnen sind am Samstag auf die Straße des 17. Juni gekommen.

„Ein riesiger Erfolg“, findet Teske. Sie hatte 1984 den ersten Berliner Frauenlauf gewonnen. 600 standen am Start. „Die Teilnahme an einem Frauenlauf hatte damals etwas Revolutionäres. Heute ist der Frauenlaufsport etwas ganz Alltägliches, und das ist gut so“, sagt die 57-Jährige. Sie wird heute nicht nur den Startschuss geben, sondern auch selbst mitlaufen. „Allerdings nur zum Spaß und ohne Wettkampfgedanken. Gewinnen wird die Wattenscheiderin und London-Marathon Gewinnerin Irina Mikitenko“, gibt Teske als sicheren Siegertipp.

In der Menge vor der Warm-up-Aerobic-Bühne auf der Straße des 17. Juni stehen Sabine, Cordula, Steffi und Petra. Sie treten bereits zum vierten Mal beim Frauenlauf an. „Einfach so, weil’s Spaß macht und mal nicht die Männer im Vordergrund stehen“, sind sich die Freizeitläuferinnen einig. Ein „kollektives Frauen-Wir-Gefühl“ wollen die vier dieser Veranstaltung jedoch nicht zugestehen: „Frauen auf der Zielgeraden – die können ganz schön aggressiv sein“, sagt eine der Freundinnen. „Da ist es egal, ob du neben einem Mann oder neben einer Frau läufst“, ergänzt eine andere.

Etwas politischer geht es nebenan zu: „Meine Mama jammert nicht, sie macht“ steht auf dem Schild, das neben Jasmin an der Mülltonne lehnt, während sie ihre Bratwurst isst. Das Schild hat das Mädchen selbst gebastelt, für die Aufschrift ist ihr Vater verantwortlich. „Das bezieht sich nicht nur auf das Laufen, sondern auf das ganze Leben“, erklärt Lutz W.

Ähnliche Ansichten pflegen auch Rolf und Klaus. Sie warten auf einer Bank mit einem Bier auf ihre Frauen. „Frauenlauf ist ’ne gute Sache“, sagt Rolf. „Da sind sie mal unter ihresgleichen und werden auch so bewertet. Und irgendwie auch mehr gewürdigt“, findet Klaus.

Als Charlotte Teske in die Luft schießt, schnellen die ersten Läuferinnen nach vorn. Direkt an der Startlinie feuern Ulf und Peter die Läuferinnen mit zwei regenbogenfarbenen Staubwedeln an. Die „Puschl“, mit denen sie ihre Frauen schon zum vierten Mal begleiten, stoßen auf gute Resonanz, meinen sie. „Klar könnte ich sagen: Komm wieder, es muss Staub gewischt werden. Aber das möchte ich gar nicht“, sagt Ulf. „Wenn die Lasten ausreichend verteilt sind, hat das ja nichts Böses. Die Puschl sind auffällig. Unsere Frauen können uns so direkt erkennen“, erklärt Peter.

„Busen. Tittis. Melonen. Dinger. Knospen. Bälle. Möpse. Glocken.“ Der Text auf ihrem schweißnassen T-Shirt sei ein echter Hingucker, findet die Läuferin Sigrid. Sie ist bereits auf dem Weg zum Umkleidezelt. „Mir ist einfach die Puste ausgegangen“, sagt sie und deutet auf die kleiner gedruckten Buchstaben auf ihrem Shirt: „Krebs macht keinen Unterschied – kennen Sie Ihr Risiko?“ Sie sei vor allem angetreten, um das Motto „Laufen gegen Brustkrebs“ zu unterstützen, erklärt sie und verschwindet im Umkleidezelt, nur um gleich wieder herauszuspringen. Denn der Moderator kündigt die Siegerin an.

Nach 32:24 Minuten kommt – wie von Teske prognostiziert – Irina Mikitenko als Erste ins Ziel. Ihr vierter Sieg in diesem Jahr. Den Streckenrekord von Restituta Joseph (Tansania) aus dem Jahr 2001 verfehlt sie nur um zehn Sekunden. „So eine Prominenz für den Frauenlauf kann man sich nur wünschen. Hier geht’s schließlich um eine rundum gute Sache“, resümiert Sigrid und verschwindet wieder im Zelt. SONJA FAHRENHORST