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Archiv-Artikel

Anfälliger als der Schrottreaktor

Kritik am Auftritt von Niedersachsens FDP-Umweltminister Sander. Bei der Jubiläumsfeier des AKW Emsland lobte er die Sicherheit des Reaktors. Dabei ist das AKW in Teilbereichen störanfälliger als das Uralt-Kraftwerk Biblis A in Hessen

Keine Stromlücke

Im April untersagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) dem Energiekonzern RWE die Übertragung von Strommengen des Atomkraftwerks Emsland in Lingen auf Biblis A, um das hessische Kraftwerk länger am Netz zu halten. Durch das Abschalten von Biblis A entstehe keine „Stromlücke“ ab 2012, wenn der Bruttostromverbrauch um elf Prozent bis zum Jahr 2020 sinke, sagte der Präsident des Umweltbundesamtes, Andreas Troge. Nach Ansicht der Deutschen Umwelthilfe entspringt die „Stromlücke“ einem „strategischen Kalkül“ von Energiekonzernen. Ziel der Unternehmen sei es, in Deutschland neue Kohlekraftwerke in großer Zahl ans Netz zu bringen und den Atomausstieg rückgängig zu machen. TAZ

VON KAI SCHÖNEBERG

Nicht bestimmungsgemäße Dübelverbindungen, Kurzschluss, Luftleckagen, Vorfall an einem Notstromdieselmotor – die Liste der meldungspflichtigen Störfälle im Atomkraftwerk Emsland ist lang. Rund 40 kleinere Pannen sind von dem Meiler an der niederländischen Grenze allein zwischen 1998 und 2005 gemeldet worden. Dennoch gilt der 1.400 Megawatt-Block des AKW Emsland als einer der sichersten in Deutschland.

So sahen das auch die 200 Besucher, die am Sonntag zur Feier der 20-jährigen Inbetriebnahme des Druckwasserreaktors ins Emsland reisten.

Eine Party unter Atomfreunden: „Mit großer Verwunderung“ werde in anderen Ländern „auf die beim Thema Kernenergie international isolierte Position Deutschlands geblickt“, sagte Gerd Jäger, Vorstandsmitglied beim Meilerbetreiber RWE Power. Auch Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) lobte im Emsland die Sicherheit des zweitjüngsten Reaktors der Republik. Das AKW Emsland war 1988 in Betrieb genommen worden. Und auch Sander wetterte gegen den „unseligen“ Atomkonsens, nach dem der Reaktor 2020 abgeschaltet werden soll. Erneut betonte der Umweltminister, dass Deutschland „für die nächsten 40, 50 Jahre“ auf Atomenergie angewiesen ist. Das wundert Stefan Wenzel kaum noch. Dass der als Atomenergie-Fan bekannte Sander mit seiner Anwesenheit beim Festakt im Emsland jedoch eine Technik adelte, deren Sicherheitsstandard die der von Atomkritikern als „Schrottreaktor“ gescholtenen Anlage Biblis A in Teilen deutlich unterschreitet, bringt den Grünen-Fraktionschef im niedersächsischen Landtag auf die Palme.

„Der Sicherheitsstandard des neueren Atomkraftwerks in Lingen ist in einigen Bereichen niedriger als der Sicherheitsstandard des alten hessischen Reaktors Biblis A“, sagt Wenzel zur taz. Obwohl Biblis A bereits 1975 in Betrieb genommen wurde, weist es laut einer Analyse des Bundesumweltministeriums (BMU) teilweise weniger Schwachstellen auf als der vergleichsweise junge Meiler im Emsland. „Damit erweist es sich mal wieder als Märchen“, sagt Wenzel, „dass Atomkraftwerke sicher sind, wenn sie modern sind.“

Beim „Station blackout“, also dem Ausfall der gesamten Stromversorgung, hat Biblis A laut der BMU-Studie „wegen der breiten Verfügbarkeit der verfahrenstechnischen Systeme nach Wiederherstellung der Energieversorgung sicherheitstechnische Vorteile“. Auch beim so genannten Störfall „Fehlerhafter Füllstand mit Folgeausfall der Nachkühlpumpen“ überwiegen für die Atomexperten des Ministeriums die Vorteile der Anlage in Biblis.

Anlass der Überprüfung der Sicherheit der beiden Meiler war im vergangenen Jahr ein Antrag des Anlagenbetreibers RWE gewesen. Der Energiekonzern, der mit einer Anzeigenkampagne für „Deutschlands ungeliebte Klimaschützer“ wirbt, hatte eine Übertragung von Restlaufzeiten von Biblis auf Lingen beantragt, um den Reaktor in Hessen, dessen Abschaltung ansteht, über die Bundestagswahl 2009 zu retten. Dieser Wunsch wurde von Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) abgelehnt, weil Biblis A „insgesamt“, so die Studie, „über weniger Sicherheitsreserven als das modernere Atomkraftwerk Emsland“ verfüge.

Dennoch haben die beim AKW Emsland offenbarten Schwachstellen die Grünen alarmiert. „Sander ist hier am Zug“, sagt Fraktionschef Wenzel. Der Umweltminister, der die Anlagen des Kraftwerks beaufsichtigt, müsse „öffentlich Stellung nehmen und vom Betreiber umgehend Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit einfordern und wo immer möglich anordnen“.

Das Umweltministerium weist die Kritik zurück. Wenzels Vergleich der Sicherheitstechniken von Biblis A und Emsland „hinkt total, weil die Technik der Atomkraftwerke nicht vergleichbar ist“, sagt Sanders Sprecherin Jutta Kremer-Heye. Es sei doch „logisch“, dass „bei alten Meilern in Einzelbereichen durch die Erneuerungen die Technik auf einem höherem Stand sein kann als bei neueren“, sagt Kremer-Heye. Und: „Wenn die Atomkraftwerke unter unserer Aufsicht nicht sicher wären, würden wir sie noch heute abschalten.“