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Agitprop mit der Waffe

WAHL IN SIMBABWE

29. März: Bei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen hat die Opposition unter Morgan Tsvangirai, Führer der MDC (Bewegung für Demokratischen Wandel), erstmals Siegeschancen gegen Amtsinhaber Robert Mugabe und seine Partei Zanu-PF (Afrikanische Nationalunion Simbabwes/Patriotische Front).

2. April: Die MDC erklärt Tsvangirai mit 50,3 Prozent zum Sieger der Präsidentschaftswahl, Mugabe hat 43,8 Prozent. Die Wahlkommission erklärt die MDC mit 109 Parlamentssitzen zum Sieger gegen die Zanu-PF (97), hält aber das Ergebnis der Präsidentschaftswahl zurück.

2. Mai: Die Kommission erklärt Tsvangirai zum Sieger der Präsidentschaftswahl, aber nur mit 47,9 Prozent. Mugabe bekommt 43,2 Prozent – eine Stichwahl wird nötig.

16. Mai: Der Stichwahltermin steht: 27. Juni.

AUS RUSAPE GODFREY KARORO

Ein paar Tage nach den Wahlen kommen sie ins Dorf. Fremde Autos mit seltsamen Leuten darin, die Bauern von Rusape haben sie nie zuvor gesehen. Schnell macht das Gerücht die Runde, das seien Mugabes Soldaten, die die Geschichte zurückdrehen sollen. Gerade hat die Regierungspartei von Präsident Mugabe die Parlamentswahl verloren; die oppositionelle Bewegung für Demokratischen Wandel (MDC) des Kandidaten Morgan Tsvangirai hat am 29. März auch in Rusape haushoch gewonnen. Jetzt will das Regierungslager sicherstellen, dass Mugabe wenigstens Präsident bleibt – bei der Stichwahl am 27. Juni.

Nun also landen in Rusape, 180 Kilometer östlich der Hauptstadt Harare gelegen, Männer in Zivil. Sie rufen die Dorfältesten zu einer außerordentlichen Versammlung herbei und stellen sich ihnen vor: Geheimdienstagenten, Veteranen des Befreiungskriegs der Siebzigerjahre sind sie, auch Soldaten in Zivil. Sie reden sich gegenseitig mit „Genosse“ an, ihre Namen nennen sie nicht.

„Präsident Mugabe hat uns geschickt, um euch zu sagen, dass es ihm sehr leidtut, wie die Partei mit den Menschen auf dem Land umgegangen ist“, erklärt einer von ihnen den erstaunten Dorfältesten. „Der Präsident lässt ausrichten, er habe herausgefunden, dass sämtliche Maschinen und Chemikalien und Lebensmittelhilfen für die Landbevölkerung von korrupten Regierungsbeamten für sich und ihre Familien abgezweigt worden sind. Er wird dieser Korruption ein Ende setzen.“

„Mugabe ist traurig“

Allerdings, setzt der Redner nach, sei Präsident Mugabe auch sehr unglücklich darüber gewesen, wie die Bauern von Rusape abgestimmt hätten – unverständlicherweise gegen seine revolutionäre Zanu-PF und für die MDC, „die Marionette der Weißen“.

„Wir sind zu euch gekommen, damit bei der Stichwahl um die Präsidentschaft jeder Mugabe wählt“, schließt er. „Unsere Aufgabe können wir aber nur erfüllen, wenn ihr, die Dorfchefs, kooperiert. Morgen wollen wir alle Dorfbewohner treffen. Wir fordern euch auf, dafür zu sorgen, dass alle eure Untertanen über diese wichtige Versammlung Bescheid wissen.“

Am nächsten Morgen kommen zweitausend Bauern zum Versammlungsort, einem Stück Brachland in der Nähe der kleinen Ladenzeile. Die Genossen halten vor ihnen die gleiche Rede. Aber diesmal stehen vor der Menge einige neue Männer mit grimmigen Gesichtern und alten AK47-Gewehren, die aussehen, als kämen sie aus dem Museum. Die Waffen sollen zeigen, dass die Botschaft der Genossen ernst gemeint ist. Einer der Kriegsveteranen ergreift das Wort. Er appelliert an die Dorfbewohner, Mugabe zu wählen und nicht die Opposition, „die das Land den Weißen zurückgeben will“. Präsident Mugabe „gibt den Schwarzen Macht“, sagt er. Dann bittet er um Fragen.

Ein mutiger 76-Jähriger steht auf. Er erklärt den Genossen, dass die Regierung den Menschen nichts zu essen gibt. In den Kliniken gibt es keine Medikamente, in den Schulen keine Lehrer, „und in die Stadt zu fahren, das können wir nicht bezahlen“, fährt er fort. „Deshalb haben wir MDC gewählt.“ Aus der Menge erhebt sich zustimmendes Gemurmel. Rusape ist sehr arm. Die meisten Menschen in Simbabwes Dörfern leben von der Subsistenzwirtschaft, sie bauen auf winzigen Feldern Mais an, aber das reicht nicht zum Leben.

Ermutigt von der Offenheit seines Vorredners, steht ein weiterer Dorfbewohner auf. Er klagt: „Unsere Kinder haben keine Arbeit, in den Läden gibt es nichts zu kaufen. Dieses Jahr haben wir nichts geerntet, wegen der Dürre und weil wir keinen Dünger hatten. Unsere Last wird uns zu schwer.“

Die Genossen hören sich das alles ruhig an. Dann steht einer auf und wedelt mit seiner Kalaschnikow. „Danke für eure ehrlichen Bemerkungen“, hebt er an. „Können die Frauen hier uns bitte sagen, ob sie nach dem ersten Kind aufgehört haben, Kinder zu kriegen, weil die Geburt so schmerzhaft war? Ihr sagt, dass ihr unter Mugabe leidet, also werft ihr ihn weg – nach allem, was er Gutes getan hat! Wir haben für dieses Land gekämpft, und wir werden nicht zulassen, dass es wieder in die Hände der Weißen fällt.“ Zitternd redet er sich in Rage, die Dorfbewohner vor ihm starren ängstlich auf die nackte Erde. „Wir werden sicherstellen, dass ihr nicht noch einmal so wählt wie beim letzten Mal. Sonst werdet ihr zahlen.“

Dann stimmt er revolutionäre Lieder aus den Siebzigerjahren an. Damals, im Befreiungskrieg, sang man diese Texte gegen die weiße Minderheitsregierung, um die ländliche Bevölkerung für die Guerilla einzunehmen. Es sind Lieder, die bei den Zuhörern alte Erinnerungen wecken – an Folter, Hinrichtung, Vergewaltigung. Viele Menschen verloren damals in Rusape ihr Leben, entweder wurden sie von der weißen Armee als Rebellen oder von der schwarzen Guerilla als Kollaborateure hingerichtet.

Der MDC abschwören

Der Genosse kommt zum Schluss. „Wir richten jetzt hier eine Basis ein, von der aus wir bis nach der Stichwahl operieren werden“. Die Versammlung ist fast zu Ende. Alle Männer zwischen 18 und 40 Jahren werden gebeten, dazubleiben – die Genossen wollen nun die Wahlen für den Jugendflügel der Regierungspartei durchführen. Die verängstigten Jugendlichen werden einem Beicht- und Konversionsritual unterzogen. Sie müssen alles abliefern, was an die oppositionelle MDC erinnert: Mitgliedsausweise, T-Shirts, Tücher mit dem Parteilogo. Alles wird, unter Absingen weiterer Revolutionslieder, öffentlich verbrannt. Anschließend müssen die Männer auf die Asche spucken, sie vergraben und das Loch mit frischer Erde bedecken – zum Zeichen, dass sie nie wieder mit dieser Partei zu tun haben wollen.

Abschließend werden die Agitierten aufgefordert, den Rest der Dorfbevölkerung zum Gehorsam anzuhalten. Sie müssen sagen, wer vor der Wahl Ende März auf MDC-Wahlversammlungen war und wer zum MDC-Netzwerk vor Ort gehört.

Seit diesem Tag sind die Genossen und Kriegsveteranen im Dorf stationiert. Einen Monat vor der Stichwahl sieht man sie nur noch in Gruppen von rund 30 Männern, bewaffnet mit Gewehren und Knüppeln. Sie trommeln willkürlich Dorfbewohner zusammen und bestrafen jene, von denen sie annehmen, dass sie die MDC unterstützen. Eine ihrer Lieblingsmethode ist, mit Stöcken auf die Fußsohlen zu schlagen, bis der Malträtierte nicht mehr laufen kann. Dann verbieten sie ihm, sich ärztlich behandeln zu lassen, verpflichten ihn aber, sich jeden Tag an der Basis der Genossen zu melden. Die MDC-Aktivisten wiederum schlagen jene Dorfbewohner zusammen, die den Genossen zwangsweise als Informanten dienen.

Auch vor Schulen machen Mugabes Agitatoren nicht halt. Lehrer sind in ländlichen Gebieten wie Rusape praktisch die einzigen Staatsangestellten, sie gelten als Meinungsführer. Ein Grundschullehrer erzählt, dass zwei „Kriegsveteranen“ mit Kalaschnikows in der Schule waren, die Lehrer zusammengerufen und ihnen vorgeworfen haben, für die Opposition zu werben. „Das muss aufhören“, sagten sie. „Wir wollen, dass ihr uns helft, die Köpfe der Menschen zu verändern, damit sie dieses Mal richtig wählen.“

Der Lehrer erinnert sich: „Wir hatten verabredet, dass wir alle die Schule verlassen, falls sie versuchen, gegen uns Gewalt anzuwenden.“ Nicht überall hat das funktioniert. Nach Angaben der Lehrergewerkschaft Progressive Teachers Union of Zimbabwe mussten landesweit schon mehr als hundert Schulen schließen, weil zweitausend Lehrer wegen der ständigen Einschüchterungen geflüchtet sind. Der Exodus der Lehrer verschärft die Bildungskrise in Simbabwe – in den letzten Jahren haben schon zehntausende Lehrer das Land verlassen, nach Südafrika, Namibia und Botswana.

Agitationsziel erreicht

Nach Wochen täglicher Gewalt zeigt sich der Anführer der „Genossen“ in Rusape zufrieden. Die MDC-Aktivisten der Gegend, selbst gewählte Kommunalvertreter, sind in die Städte geflüchtet. Auf dem Land ist die Opposition nun führungslos und handlungsunfähig, den Wahlkampf für die Stichwahl am 27. Juni wird sie so nicht mehr führen können.

Was wird passieren, wenn Mugabe die Stichwahl gewinnt, die Opposition aber im Parlament die Mehrheit hält? Aus Kreisen der Regierungspartei heißt es, man werde MDC-Parlamentarier mit allen Mitteln dazu bringen, Dinge zu tun, für die man sie vor Gericht stellen kann. Dann könne man sie in Nachwahlen entfernen und die Zanu-PF-Mehrheit wiederherstellen. Schon jetzt sind drei neu gewählte MDC-Abgeordnete wegen Aufforderung zu Gewalt angeklagt.

In Rusape schließen die Leute jetzt nachts ihre Hütten ab. Wenn es dunkel wird, lassen sie niemanden mehr ins Haus.

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