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Archiv-Artikel

Aufschub im Brechmittel-Prozess

Im Jahr 2005 starb der Sierra Leoner Laya Condé, nachdem ihm ein Polizeiarzt Brechmittel eingeflößt hatte. Jetzt droht der Prozess gegen den Arzt zu platzen: Sein Anwalt hält den Richter für befangen

AUS BREMEN CHRISTIAN JAKOB

Dass Bremen die „Hauptstadt des organisierten Erbrechens“ sein könnte, hat Richter Bernd Asbrock nahegelegt. Anfang 2005 starb hier der Sierra Leoner Laya Condé, nachdem ein Polizeiarzt ihm gewaltsam das Brechmittel Ipecacuanha eingeflößt hatte. Die Empörung war groß, auch in Juristenkreisen. Asbrock schrieb einen kritischen Aufsatz zur Brechmittelvergabe in einer Fachzeitschrift.

Das Problem: Seit April verhandelt das Bremer Landgericht wegen fahrlässiger Tötung gegen den Polizeiarzt Igor V. – und Asbrock ist der Vorsitzende. Am vorletzten Verhandlungstag reichte Erich Joetser, der Anwalt des Angeklagten, wegen des Aufsatzes einen Befangenheitsantrag gegen Asbrock ein. „Man kann nicht ernsthaft einem Angeklagten zumuten, sich bei so einem Richter auf die Anklagebank zu setzen“, so der Anwalt.

Asbrock zeigte sich „überrascht“. Er sei davon ausgegangen, dass sein Aufsatz lange bekannt war – und auch Joester ihn gekannt hätte. Dieser wies das zurück: „Hätte ich ihn vor Prozessbeginn gekannt, hätte ich niemals angefangen zu verhandeln.“ Eine Beisitzerin habe zu Prozessbeginn entschieden, dass sie Asbrocks Objektivität nicht beeinträchtigt sehe. Als Joester das hörte, schob er gegen den Rest der Kammer einen Befangenheitsantrag hinterher. Kurz vor Schluss droht der Prozess nun zu platzen. In dieser Woche hätte ein Urteil fallen sollen.

Die Verhandlung offenbarte, dass der Polizeiarzt Condé selbst dann noch fast eine Stunde lang Wasser einflößte, nachdem sich dessen Zustand bereits derart verschlechtert hatte, dass V. einen Notarzt hatte rufen müssen. Die beiden Rettungssanitäter, die am Morgen des 27. Dezember 2004 in das Bremer Polizeipräsidium kamen, erinnerten sich vor Gericht an folgende Szenerie: Laya Condé lag mit Handschellen gefesselt auf einer Liege. Nach der Brechmittelvergabe „zeigte er überhaupt gar keine Reaktion mehr“. Nachdem sie seinen Zustand stabilisiert hätten, habe der Arzt V. seine „Maßnahme“ fortgesetzt. Die Sanitäter halfen dabei, einer reichte ihm Schüsseln mit Wasser, dass er Condé über eine Nasensonde, die immer wieder herausrutschte, einflößte. Das Wasser sollte den Brechreiz fördern.

Condé habe sich immer wieder übergeben, dabei seien auch Kokainkügelchen zum Vorschein gekommen. Schließlich regte Condé sich nicht mehr. Dann habe V. Condés „Zäpfchen mit einer Pinzette stimuliert“, um weitere Würgereflexe zu provozieren. Aus Condés Mund sei ständig Flüssigkeit gelaufen, er sei derartig durchnässt gewesen, dass die Elektroden zur Messung der Herzfrequenz kaum an seinem Körper haften blieben.

Am Ende habe Condé „Schaum vor dem Mund“ gehabt. Sein Herz habe zeitweise völlig zu schlagen aufgehört, die Pupillen „deuteten auf einen schweren Hirnschaden hin“ – Condés Lunge war voller Wasser gelaufen. Gutachter stellten später „Tod durch Ertrinken“ fest.

Condé war an jenem Abend von einer Polizeistreife im Bremer Steintorviertel aufgegriffen worden. Die Polizisten verdächtigten ihn, Kokain verschluckt zu haben, und ordneten deshalb die Brechmittelvergabe an. Condé starb zehn Tage später in einem Bremer Krankenhaus. Bereits 2001 war in Hamburg ein Afrikaner bei einer Brechmittelvergabe gestorben. 2006 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Praxis gegen das Folterverbot verstoße.