In Bremerhaven droht das Chaos

Wenn für Bremerhaven die Fünf-Prozent-Klausel nicht wieder eingeführt wird, ist die Stadt unregierbar, sagen SPD und CDU. Dass das in anderen Städten nicht so ist, spielt offenbar keine Rolle. Die rot-grüne Koalition beugt sich der Bremerhavener Logik

Im Jahre 2006 sammelte die Bürgerinitiative „Mehr Demokratie“ mehr als 70.000 Stimmen zur Änderung des Wahlrechtes im Bundesland Bremen. Mit im Paket: die Abschaffung der Fünf-Prozent-Klausel für das Kommunalparlament Bremerhaven. In der Stadt Bremen haben deutsche Wahlbürger für Landtag und Stadtbürgerschaft nur eine Stimme – da ist die verfassungsrechtliche Lage komplizierter.

Die Bremische Bürgerschaft übernahm die Änderungsvorschläge des Volksbegehrens für „Mehr Demokratie“ – die Bremerhavener Abgeordneten der damaligen großen Koalition stimmten aber nur zu unter der Bedingung, dass die Sperrklausel für Bremerhaven später wieder eingeführt würde. Im Mai 2007 wurde noch nach dem alten Wahlrecht gewählt. Sieben Gruppen wurden damals in die Bremische Bürgerschaft gewählt:

SPD 34 Prozent – 16 SitzeCDU 24 Prozent – 12 SitzeGrüne 13 Prozent – 6 SitzeFDP 10 Prozent – 5 SitzeLinke 6 Prozent – 3 SitzeDVU 5,5 Prozent – 3 SitzeWählerinitiative „Bürger in Wut“ 5,4 Prozent – 3 Sitze

VON KLAUS WOLSCHNER

Am kommenden Mittwoch steht in der Bremischen Bürgerschaft ein Dringlichkeitsantrag zur Abstimmung, der einen bundesweit einmaligen Vorgang beschreibt: Die Fünf-Prozent-Hürde soll für die Kommunalwahl in Bremerhaven wieder eingeführt werden. Im Dezember 2006 hatte das Landesparlament die Sperrklausel zusammen mit einer umfassenden Demokratisierung des Wahlrechtes abgeschafft.

„Es wird bald bundesweit keine Stadt mit 100.000 Einwohnern mehr geben, in der die Fünf-Prozent-Sperrklausel gilt – außer Bremerhaven“, sagt Wilko Zicht von der Initiative „Mehr Demokratie“. Die Bürgerinitiative hatte im Land Bremen ein Volksbegehren zur Demokratisierung des Wahlrechts angestrengt und so viele Unterschriften zusammen bekommen, dass die damals noch regierende große Koalition den Text von „Mehr Demokratie“ als Gesetzesnovelle übernahm.

Während in Bremen das Stadtparlament in demselben Wahlgang gewählt wird wie das Landesparlament und eine gesonderte Kommunalwahl also nicht stattfindet, gibt es in Bremerhaven eine Stadtverordnetenversammlung mit eigenem Wahlvorgang. „Mehr Demokratie“ hatte, wie es dem bundesweiten Trend entspricht, die Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde in sein Volksbegehren aufgenommen.

In Bremerhaven regiert weiterhin eine große Koalition, die will die Sperrklausel. In Bremen regiert eine rot-grüne Koalition, die müsste das Landeswahlgesetz entsprechend ändern.

Damit würde Bremerhaven „zur undemokratischsten Stadt Deutschlands“, empört sich der Bremerhavener FDP-Fraktionsvorsitzende Mark Ella. „In der Vergangenheit haben wir uns gemeinsam mit den Grünen und dem Verein ‚Mehr Demokratie‘ für die Abschaffung der Sperrklausel eingesetzt. Doch kaum sind die Grünen in Bremen an der Macht, werfen sie ihre Grundsätze über den Haufen.“

„Höchst bedenklich“ findet den Vorgang auch Walter Müller von der Linkspartei. Er erinnert daran, dass nach der Koalitionsvereinbarung eine breite Diskussion in Bremerhaven stattfinden sollte. CDU und SPD in Bremerhaven reden nun von einer „Bremerhavener Mehrheit für eine Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Hürde“. Die Menschen, die bei „Mehr Demokratie“ ihre Unterschrift gegeben haben, wurden aber nicht gefragt – nur die Stadtverordneten.

Die Ironie der Geschichte will es, dass bei den Wahlen im Mai 2007 der Wegfall der Sperrklausel keine Auswirkungen gehabt hätte – Listen wie „Bürger in Wut“, die rechte DVU und die Linke kamen knapp über 5 Prozent. Aber das kann auch anders sein, Einzelbewerber hätten mit einem Stimmergebnis von rund 1,2 Prozent die Chance auf einen der 48 Sitze. Und, darauf beharrt Wilko Zicht von „Mehr Demokratie“, es würden so viele Stimmen schlicht entwertet in der Kommunaldemokratie, nur weil sie für Listen gegeben werden, die weniger als fünf Prozent erhalten. Aus diesem Grunde bedürfe die Fünf-Prozent-Hürde auch einer verfassungsrechtlichen Begründung. Wenn die Grünen als Argument anführen, dass die Bremerhavener Stadtverordneten-Mehrheit die Hürde wolle, dann sei das natürlich kein verfassungsrechtlicher Grund.

Genau das aber ist der Kern der politischen Begründung für den Antrag. Grundsätzlich sei man natürlich gegen die Fünf-Prozent-Hürde, sagt der grüne Fraktionschef Matthias Güldner, aber die Mehrheit der Bremerhavener Stadtverordneten wolle sie und man habe sich in den Koalitionsverhandlungen auf die Formel einlassen müssen, dass dann auch zugestimmt wird. „Auf Wunsch der SPD“, sagt er ausdrücklich. Ob das überhaupt rechtlich zulässig sei, nachdem das Verfassungsgericht die Sperrklausel für Schleswig-Holstein für verfassungswidrig erklärt hatte, das müsse der Wahlrechts-Ausschuss klären, sagt Güldner.

Bei der SPD ist der Bremerhavener Martin Günthner der Fachmann und Lobbyist in einer Person, er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Landtag. Selbst wenn die rechtliche Prüfung, die noch ausstehe, „rechtliche Zweifel“ zulasse, sei er dafür, die Hürde wieder einzuführen, erklärte er jüngst. Bremerhaven braucht die Klausel, „um regierbar zu bleiben“. Dass Bremerhaven derzeit sieben Gruppierungen im Stadtparlament hat und das Chaos noch nicht regiert, ist für Günthner kein Argument – es gehe um Grundsätze, sagt er. Aber richtig sei, dass das Regieren „schwieriger geworden“ ist mit der zunehmenden Zahl von Gruppen. Mit Willy Brand und „Mehr Demokratie wagen“, findet der SPD-Politiker (Jahrgang 1976), habe die Frage der 5-Prozent-Klausel nichts zu tun.