: Die Krawatten im Wald
Schneller verkauft als gedacht: In Berlin ist zurzeit die ganze Bandbreite des Werks von Alec Soth zu studieren. Von der Mode bei C/O Berlin bis hin zum einfühlsamen Stadtporträt von Bogotá in der Wohnmaschine
In einem jüngst erschienenen Interview sagte Alec Soth: „Das ist die einfache Schönheit der Fotografie für mich – die Zeit zum Stillstand zu bringen und in der Lage zu sein, die Dinge klar beobachten zu können.“ Ein Bild aus dem Projekt „Paris Minnesota“ verdeutlicht genau diesen Moment. Halb verborgen hinter Brotkorb, Wein- und Wasserflasche sitzt der Pariser Modemacher und „King of Cling“ Azzedine Alaïa und fixiert den Fotografen. Eine Tischgesellschaft wie beim Letzten Abendmahl, nur hektischer, umringt ihn. Kein anderes Gesicht ist scharf. Kaum Ruhe beim privaten Essen nach der Modenschau.
Während der Schauen ist die Hektik noch viel größer, doch auch hier gibt es Augenblicke der Stille. Ein Model wartet auf seinen Einsatz zum Prêt-à-porter-Defilee von Paul Smith. Die Haare mit Klammern hochgesteckt, aber noch in legerer Kleidung sitzt der junge Mann in sich versunken auf dem Boden und schaltet ab. Alec Soth fokussiert unbemerkt, unprätentiös. Auch er schaltet ab, allen Wirbel und alle Unruhe.
C/O Berlin präsentiert die Ausstellung von Soth im 1. Stock des Postfuhramts sozusagen als kleines Extra zur Hauptausstellung „Deutsche Börse Photography Prize“. Klein bedeutet hier kleiner als erwartet. Denn einige der gewünschten Fotografien konnten nicht geliefert werden, da die eigene Galerie der Fotoagentur Magnum sie unterdessen verkauft hatte und mit dem Nachdruck von Ausstellungsprints nicht nachkam. Da konnte Soth, seit 2004 ein assoziiertes Mitglied von Magnum Photos, sogar selbst nicht mehr intervenieren. Die Vermarktung obliegt ihm eben nicht allein, und der 1969 in Minneapolis geborene Fotograf ist derzeit ein gefragter Mann. Nicht nur auf dem Kunstmarkt, auch im Museum. Eine große Ausstellung läuft noch bis Mitte Juni im Jeu de Paume in Paris.
In „Paris Minnesota“ senkt Alec Soth seinen Blick aber nicht nur auf den Modebetrieb, sondern auch auf die Mode selbst. Dabei ist er weit entfernt davon, ein Modefotograf zu sein. Seine Modelle stecken eher ungelenk in den Kleidungsstücken. Richtig zufrieden war Soth dann auch erst, als er mit der High Fashion in seine Heimat Minnesota verschwand, um dort die Jungs und Mädchen vom Lande in Kaschmir-Cardigans von Salvatore Ferragamo, in Seidenkleidchen von Bottega Veneta oder in viel zu große Schuhe von Dior Homme zu stecken. Hier glänzt die Persönlichkeit und die Mode wird zum Hintergrund. Ganz in der Kulisse erhabener Landschaft lässt der „AntiAdvertizer“ Soth teure Accessoires verschwinden. Und doch funktionieren die Bilder als Anzeigenkampagne, auch wenn die Ralph-Lauren-Krawatte ganz unscheinbar wirkt, wie sie einsam von einem Ast hängt, in der Totale ist eigentlich nur Wald zu sehen.
Solche Suchbilder sind neben den Porträts von Modebiz und der nordamerikanischen Gegenwelt zum Pariser Glamour der dritte Teil des „Fashion Magazines“. Eine Reihe, die Magnum Photos in loser Reihe produziert.
Dass sich Soth eigentlich der Sozialreportage verpflichtet fühlt, verdeutlicht die Serie „Dog Days Bogotá“, die gerade in der Galerie Wohnmaschine gezeigt wird. Auch wenn es hier um ganz intime Dinge geht. 2002 hielt sich Alec Soth zwei Monate in der kolumbianischen Hauptstadt auf, um mit seiner Frau das Adoptionsverfahren für Tochter Carmen abzuwickeln. Die Darstellung der Härte, aber auch der ruppigen Schönheit Bogotás gerät Soth gleichzeitig zum persönlichen Fotoalbum zu Ehren seiner Adoptivtochter als auch zum einfühlsamen Stadtporträt. Mit der Arbeitseinstellung, Projekte möglichst offen anzugehen, die Situationen auf sich zukommen zu lassen, begibt er sich in Südamerika zwar auf ein riskanteres Gebiet als in Paris oder Minnesota, trotzdem kommt er nah ran, nah vor allem an die Menschen.
MARCUS WOELLER
Alec Soth: „Paris Minnesota. Fashion Photographs“, C/O Berlin Oranienburger Str./Tucholskystr., bis 13. Juli. „Dog Days Bogotá“, Galerie Wohnmaschine, Tucholskystr. 35, bis 28. Juni