piwik no script img

Archiv-Artikel

kabinenpredigt Bequemer Protest

Es war ein geradezu weihevoll inszenierter Protestaufruf. Bevor die Wettkämpfe beim 67. Internationalen Stadionfest (Istaf) am Sonntag im Berliner Olympiastadion begannen, las Heike Drechsler, die deutsche Weitsprungikone, vor 60.000 Zuschauern Auszüge aus der Olympischen Charta und aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor.

Die Textstellen wurden den Istaf-Sportlern als Grundlage einer Erklärung vorgestellt, in der die chinesische Regierung aufgefordert wird, die Gewalt in Tibet zu beenden sowie Presse-, Meinungs- und Demonstrationsfreiheit einzuführen. Möglichst viele Athleten sollten diese Bittschrift unterzeichnen. Die von amnesty international, International Campaign for Tibet und Sports for Peace initiierte Aktion war mit den Veranstaltern des Leichtathletikmeetings abgesprochen.

So politisch geht es bei sportlichen Großereignissen selten zu. Zumindest in der sicheren Protestentfernung (7.365 Kilometer von Berlin bis Peking) scheint die Tibet-Problematik Sportfunktionäre und Menschenrechtsorganisationen zu einen. Während der Olympischen Spiele in China darf ja nicht einmal stumm protestiert werden. Das Tragen von Schweißbändern mit der Aufschrift „Sports for Human Rights“ ist verboten.

Allerdings wächst der öffentliche Druck auf die potenziellen Olympioniken, sich im Rahmen des Erlaubten zu positionieren. Wie stehen Sie zur Menschenrechtsfrage? Dies dürfte bei den Sommerspielen in Peking wohl in jedem Interview abgefragt werden. Der Aufruf, der beim Istaf vorgestellt wurde, ist insofern als ein günstiges Pauschalangebot für alle Chinareisenden zu betrachten. Dawid Bartelt von amnesty sagte, den Sportlern würde eine Plattform geboten, eine kollektive Willenserklärung kundzutun.

Im Schlepptau von amnesty international zu protestieren, ist durchaus bequem. Besser, als sich gar nicht zu äußern, ist es allemal. Mut zur Eigeninitiative haben jedoch bedauerlicherweise nur die wenigsten. Die Judokämpferin Yvonne Böhnisch aus Potsdam gehört dazu: Sie hat ihren persönlichen Boykott der Eröffnungsfeier angekündigt. Nichts gegen Unterschriftensammlungen – aber dies ist eine wirklich authentische Protestform mit einer individuellen Handschrift. JOHANNES KOPP