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Archiv-Artikel

Israel nimmt Abschied von Tommi Lapid

Der ehemalige Justizminister der liberalen Schinui-Partei und streitbare Journalist war der letzte Holocaust-Überlebende im Parlament. Politisch korrekt war er nie, die einen liebten, die anderen hassten ihn. Ein Nachruf

JERUSALEM taz ■ Man kann Tommi Lapid vieles nachsagen. In einem Punkt sind sich alle über ihn einig: Politisch korrekt war er nicht. Er wetterte mal gegen die Schwulen, mal gegen Obdachlose, sparte nie mit frauenfeindlichen Sticheleien und wurde von den Religiösen fast wie der Teufel selbst geächtet. Als Chef der Schinui-Partei hatte er versucht, die Trennung von Staat und Religion voranzutreiben und die Frommen im Land zu entmachten. Nichtsdestotrotz wird Lapid am Montag auf Wunsch seiner Familie in religiöser Tradition beerdigt werden, nachdem er in der Nacht zum Sonntag 77-jährig seinem Krebsleiden erlag.

Er war Journalist und Justizminister, und er war der letzte Holocaust-Überlebende unter den Parlamentariern. Lapid brauchte keine Kopfhörer, als Bundespräsident Horst Köhler vor der Knesset seine Ansprache auf Deutsch hielt. Er hatte es während seiner Kindheit in Serbien, als er noch Tomislav Lampel hieß, fließend gelernt.

Mit seinen Emotionen ringend, berichtete er am Rednerpult des Parlaments dem Staatsgast von seiner Befreiung aus Mauthausen durch amerikanische Soldaten. Nur zwei Wochen zuvor war sein Vater von den Nazis ermordet worden. Er selbst konnte zusammen mit seiner Mutter einem Exekutionskommando an den Ufern der Donau entkommen. Damals sei er zum Zionisten geworden, sagte er später.

Wenn Tommi Lapid über die Judenverfolgung sprach, stellte niemand seine Motive in Frage. Er war immer echt und überzeugend. Auch als er gegen die deutsche Wiedervereinigung wetterte und damals als Meinungsredakteur des liberalen Ma’ariw von seiner Sorge über das künftig wieder so starke Land mit der dunklen Geschichte schrieb.

Dabei schätzte er die deutsche Kultur und wünschte sich eine Annäherung Israels an Europa, um gleichzeitig das Abgleiten des Judenstaats in die Levante anzuprangern. „Das ist unerträglich“, schimpfte er über einen populären orientalisch-israelischen Liedermacher, der „den Eindruck hinterlässt, als hätten nicht wir Tulkarem (palästinensische Stadt), sondern Tulkarem uns besetzt“.

So verhasst er den einen war, so sehr liebten ihn andere. Selbst bei der orientalisch-religiösen Schass hatte er echte Freunde. Lapid verfügte über Witz, Charme und eine Wortgewandtheit, die es ihm ermöglichte, innerhalb von Sekunden die Menschen für sich zu gewinnen – doch nie aus Opportunismus. So gehörte er zu den wenigen, die trotz der schweren Verdachtsmomente gegen den Premierminister stets zu Ehud Olmert standen. Dessen Gegnern wünschte er, sie sollten an ihren Anschuldigungen ersticken.

„Er hatte einen riesigen Appetit auf das Leben“, erzählt Amnon Dankner über seinen schwergewichtigen Freund, mit dem er über Jahre in der Talkshow „Populitika“ aufgetreten war. „Herz und Mund waren eins bei ihm.“ Lapid lässt seine Frau, die Schriftstellerin Schulamit Lapid, zurück, seine Tochter Meraw und seinen Sohn Jair Lapid, der wie sein Vater zu den bekanntesten Journalisten im Land gehört.