: Fische anschauen – nicht zerlegen
Früher rückten aus Cuxhaven die großen Fangflotten aus. Jetzt lässt sich im neuen „Sea Life Center“ die Fauna der Nordsee durch Panoramaglasscheiben bewundern. Die Tourismusbranche wirft auch einen Seitenblick auf die zu erwartenden Besucherzahlen
Als die großen Fangschiffe noch regelmäßig im Hafen anlegten, pflegten die Cuxhavener ein unsentimentales Verhältnis zu den Lebewesen des Meeres. „Wie das aussieht, wenn so ein Fisch durch die Filetiermaschine geht“, sagt ein Aquarium-Besucher, der selbst einmal auf der Brücke eines Fischdampfers stand, „das kann man Zartbesaiteten gar nicht erzählen.“ Besonders den Kindern nicht, die ihre Nasen an die Scheibe des Salzwasserbeckens drücken. Ein Rochen, der neugierig bis dicht an die Glaswand heranschwimmt, zählt zu den Attraktionen im gestern eröffneten „Sea Life Center“ Cuxhaven.
Knurrhahn, Katzenhai oder Dorsch: 60 Arten, viele davon sind in der Nordsee zu Hause, kommt man im neu errichteten Großaquarium ganz nahe. Und muss dazu nicht mal bis an den Strand gehen: Auf einer Brachfläche mitten in der Innenstadt hat die Merlin Entertainment-Gruppe (nach Disney der weltweit zweitgrößte Unterhaltungskonzern) 30 Bassins unter einem Zeltdach installiert. Dank Leichtbauweise wurde die zuvor in Dresden zu bestaunenden Unterwasserwelt innerhalb von drei Monaten an die Elbmündung verlegt.
Zur Freude von Stadtvätern und der örtlichen Tourismusbranche rechnet der Betreiber pro Jahr mit einer Viertelmillion Besucher, die in die Unterwasserwelt von „Sea Life“ eintauchen sollen – was natürlich nicht wörtlich gemeint ist. Sobald man einen durchsichtigen Tunnel auf dem Grund des 250.000 Liter fassenden Ozeanbeckens betritt, fühlt man sich trotzdem wie in einem gläsernen Unterseeboot.
„So etwas hat uns hier bisher gefehlt“, sagt Cuxhavens Bürgermeister Albrecht Harten, der schon vor einem Vierteljahr bei der Grundsteinlegung der mit Wasserleitungen durchzogenen Aquarium-Fundamente die touristische Bedeutung des „Sea Life Centers“ für Cuxhaven betont hatte. Versucht die Stadt doch auch ihrerseits, aus dem Themenkomplex Meer und Hafen neues Kapital zu schlagen – jodhaltige Luft allein reicht nicht mehr aus, um Urlauber langfristig an das Nordseeheilbad zu binden. „Maritime Lebenswelten“ nennt sich ein städtisches Museumskonzept, das noch in der Schublade liegt – bis zum Jahr 2013 aber auf die Beine gestellt werden soll. Bei diesem Projekt geht es um eine museale Darstellung der für den Standort historisch bedeutsamen Themen Fischfang und Fischverarbeitung. Im Gegensatz zum Aquarium, wo Besucher die insgesamt 3.000 Meeresbewohner ja in natura begutachten können.
Vernetzen werden sich beide Angebote voraussichtlich nicht. Denn nach derzeitigem Verhandlungsstand geben die Fische hinter den Panoramascheiben in Cuxhaven lediglich ein befristetes Gastspiel. „Unseren Besuchern in Cuxhaven wollen wir zwei Jahre lang die Faszination der Unterwasserwelt auf unterhaltsame Weise vermitteln“, teilt Standort-Geschäftsführerin Stephi Hopp mit. Den Entertainment-Charakter des neuen Cuxhaveners Großaquariums unterstreichen nicht nur der Souvenir-Shop oder ein Haifischrachen aus Legosteinen im Eingangsbereich. Sondern auch ein paar Fische, die aus streng naturkundlicher Sicht eigentlich nichts zwischen den Bassins mit den Nordsee-Arten zu suchen haben. „Die Clownsfische sind bei Kindern der Renner“, weiß Aquarium-Managerin Stephi Hopp.
Tatsächlich herrschte schon am Eröffnungstag ausgerechnet vor jenem Bullauge Gedränge, hinter dem „Nemo“ seine Bahnen zieht. Wegen dem gleichnamigen Trickfilm, keine Frage. „Den hab ich im Kino gesehen“, sagt ein kleiner Junge, bevor er das Interesse verliert und sich einem Becken mit Seeanemonen zu wendet. Die darf man im Cuxhavener „Sea Life Center“ nämlich sogar anfassen. KAI KOPPE