Cowboys im Sozialismus

Abenteuer, Romantik und Freiheit: Auch in der DDR gab es die Sehnsucht nach dem Wilden Westen. Das Buch „Sozialistische Cowboys“ offenbart kuriose Alltagsgeschichten aus einer ganz realen Ost-Cowboy-Szene

Und er glaubt bis heute an das, was von Borries in seiner Moderation „die indianische Denkweise“ nannte

Vorgestern Abend im Bassy Cowboy-Club – die Luft ist zum Schneiden, der Raum ist allzu dunkel, wenn man aus dem milden Abendlicht hereinstolpert, man kann kaum sehen. Dennoch sind geschätzte hundert Leute da, davon sind mindestens ein Viertel Medienvertreter. Und vor ihnen allen tanzt ein Indianer einen indianischen Tanz. Mit großem Ernst.

Der Suhrkamp Verlag hatte zur Buchpremiere geladen. Das Buch „Sozialistische Cowboys. Der Wilde Westen Ostdeutschlands“ von Friedrich von Borries und Jens-Uwe Fischer wurde vorgestellt. Und der tanzende Indianer war gar kein Indianer. Zumindest wenn man es unbedingt völkisch sehen will. Denn er berlinert aufs Derbste und war seit den DDR-Zeiten Anhänger der „Indianistik“, also einer Hobbywissenschaft für Indianerfans. „Hartmut“, wie Hartmut Felber im Buch kumpelhaft heißt, war vor dem Mauerfall Ökoaktivist, was ihm Ärger mit der Stasi einbrachte. Und er glaubt bis heute an das, was von Borries in seiner Moderation „die indianische Denkweise“ nannte.

Das Buch ist zwar ein der Kulturwissenschaft verpflichtetes Sachbuch, doch eine wissenschaftliche Arbeit ist es nicht. Von Borries und Fischer haben die Indianisten und Cowboys in der DDR aufgesucht, die wie ihre Geistesverwandten im Westen Wildwestromantik, Abenteuer und Freiheit suchten. Doch für ihren Traum mussten sie eine gewisse Gängelung hinnehmen, waren doch Cowboys für die DDR-Führung zunächst eher Symbole für den „US-amerikanischen Imperialismus“ und erschienen Indianer, obschon sie ja als Opfer dieses Imperialismus’ betrachtet werden konnten, suspekt.

Die beiden Autoren haben eine Menge Fakten zutage gefördert, sie präsentieren nicht nur die üblichen Überwachungsakten und pittoreske Fotos aus einem untergegangenen Staat, sondern würdigen auch die Fleißarbeit, die in einem korrekt gebauten Tipi oder in originalgetreu gearbeitetem Federschmuck steckte. Auch über den Erfindergeist dieser Vereine, die „Old Manitou“ oder „Sieben Ratsfeuer“ hießen und teilweise noch heißen, wissen die beiden viel Bemerkenswertes zu berichten. So mussten die Cowboys etwa, um zu „originalgetreuen“ Schusswaffen zu kommen, diese in mühevoller Handarbeit herstellen.

Von Borries und Fischer beleuchten auch die merkwürdigen politischen Differenzen innerhalb der Szene, in denen die einen sehr entschlossen staatstreu waren, andere wiederum waren aus Sicht der Partei zu maßregelnde „Linksabweichler“, die die Liebe zu den Indianern und den Hass auf den Imperialismus dann doch allzu ernst nahmen, Dritte wiederum wollten in den 80er Jahren, als Südstaatler verkleidet, ihre innere Rebellion gegen die DDR zur Schau stellen.

Das alles ist in dem Buch ausführlich dargestellt, allerdings konnten sich von Borries und Fischer nicht ganz eines merkwürdig ironischen Untertons enthalten. Der ironische Ton liegt nahe, sind die DDR und die in ihr wirkenden und vielleicht sogar rebellischen Indianisten doch Geschichte. Und heute sind die meisten Verlierer der Geschichte. Sich über sie zu amüsieren, fällt leicht, so dass das sehr junge Publikum bereits gackern will, als „Hartmut“ ernsthaft tanzt. Von Borries und Fischer leider schützen ihren Gast nicht, sondern fallen in das Gegacker ein, lesen die Aussagen der DDR-Indios mit verstellter Stimme, so dass das eh schöne bemühte Bild vom „Reservat DDR“ endgültig zum üblen Kalauer wird.

Das ist schade, denn es degradiert das Buch, das mehr ist als Unterhaltung. Und schade ist es auch, weil die politischen Aussagen, die von Borries und Fischer im Buch dankenswerterweise recht unkommentiert präsentieren, so auf der Bühne zu einem einzigen Gag werden – oder niemandem mehr auffallen. Sagt ein DDR-Indianer, dass er sich auf die „Indian Week“ freue, weil er dort „eine Woche lang mal keine Türken sieht“, wird das genauso zum Lacher, wie die Aussage, dass man als Südstaatler auch schon mal das Bewerfen von Black Faces mit Torten gespielt habe. Dieses Lachen ist aber kein Lachen der Scham oder der Erleichterung, es ist das Auslachen der Beschädigten und Versehrten. Ein billiges Amüsement.

Die „Indianer“ und „Cowboys“ der DDR sind aber nicht nur eine Witzveranstaltung zur Belustigung von postpubertierenden Dreißigjährigen gewesen. Sicher, sie benahmen sich nicht selten genauso dumm wie andere deutsche Vereinsmeier und identitäre Gruppen. So wie etwa die Besserwisser im Bassy, die nach der Veranstaltung zur Live-Musik des DDR-Countrystars Harald Wilk ironisch tanzten.

JÖRG SUNDERMEIER

F. von Borries/J.-U. Fischer: „Sozialistische Cowboys“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2008, 200 Seiten, 10 Euro