Guide ist nicht gleich Guide

Viele Bundeswehrsoldaten besuchen die KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Dass nun ein Bundeswehrangehöriger selbst Besucher herumführen soll, verärgert die dort wirkenden freien Museumspädagogen. Einem kündigte die Gedenkstätte nun

Das 1938 eingerichtete KZ Neuengamme war das größte auf deutschem Boden und Zentrum eines Lagersystems in ganz Norddeutschland. Bis Mai 1945 wurden hier 55.000 Menschen ermordet. Als die britische Armee das Lager erreichte, fand sie keine Leichenberge vor wie etwa in Bergen-Belsen: Die ausgehungerten Häftlinge hatte die SS in mörderischen Märschen davon geschafft, alle Spuren des hier Geschehenen beseitigt. 1948 übergaben die Briten das Lager an den Hamburger Senat, der dort bis 2006 mehrere Gefängnisse betrieb. Für die Nutzung als Gedenkstätte mussten die einstigen Häftlinge seit 1951 kämpfen. ALDI

VON ANDREAS SPEIT

Die eingeforderte Diskussion blieb bisher aus. Seit Monaten bereits möchten die dort tätigen freien Museumspädagogen mit der Leitung der Hamburger KZ-Gedenkstätte Neuengamme sprechen: über die Beziehungen zur Bundeswehr im Allgemeinen. Und ganz konkret darüber, dass neuerdings ein Bundeswehr-Angehöriger dort als freier Führer für Besuchergruppen wirkt. Statt des erhofften Gesprächstermins folgte nun jedoch die Kündigung für einen langjährigen Museumspädagogen.

„Der Anlass ist eine Protest-E-Mail von mir, in der ich die Instrumentalisierung des Gedenkens für militärischen Zwecke kritisiert habe“, sagt Olaf K. Führungen, die ein Bundeswehrangehöriger durchführe, mutmaßt K., dürften sich inhaltlich von anderen unterscheiden. Um seine Kritik zu unterstreichen, weigerte K. sich sogar demonstrativ, Bundeswehrgruppen über das Gelände zu führen. Diese stellen immerhin – nach Schulkindern – die zweitgrößte Gruppe unter den Besuchern. Die Antwort erhielt Olaf K. prompt per Post: Die Gedenkstättenleitung ließ ihn wissen, dass sie ab sofort auf seine freie Mitarbeit als Gedenkstättenpädagoge „verzichten“ werde. Denn sie müsse davon ausgehen können, dass die für sie tätigen Museumspädagogen jederzeit „für alle Gruppen zur Verfügung stehen“.

Keine Stellungnahme erfolgte jedoch zu der Kritik K.s, der in den vergangen neun Jahren das Team der freien Guides mit aufbaute und unzählige Führungen ausrichtete – darunter für hunderte von Bundeswehrsoldaten. „Gesprächsangebote hat es gegeben“, sagt Detlef Garbe, der Leiter der Gedenkstätte. Ein Treffen sei aber nicht zustande gekommen, räumt er ein.

Der nun so umstrittene Besucherführer hatte 2007 als Student der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr ein Praktikum in der KZ-Gedenkstätte gemacht. Das sei „sehr gut“ gelaufen, sagt Garbe, so dass es keine Bedenken gegeben habe, als er fragte, ob er nicht weiter mitwirken könnte. Beim Museumsdienst wurde der formal Angehörige der Bundeswehr, so Garbe, als Honorarkraft eingestellt – wie alle freien Guides. „Er hat keinen Auftrag der Bundeswehr“, sagt Grabe, und solle auch nicht nur für die Bundeswehr da sein. Anders als Olaf K. geht der Gedenkstättenleiter davon aus, dass der Betreffende sich bei den Führungen alleine an die Leitlinien der KZ-Gedenkstätte halten werde.

„Unfassbar“, findet Fritz Bringmann, Ehrenpräsident der Gefangenenorganisation „Amicale Internationale KZ Neuengamme“, die Kündigung von Olaf K. und spricht gar von einem „Machtmissbrauch“. Die Gedenkstätte, so Bringmann, müsse dringend „gemeinsam mit dem Team der Gedenkstättenpädagogen und den Überlebendenverbänden über die Bedingungen der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr reden“. Bringmann, der selbst im KZ Sachsenhausen und Neuengamme inhaftiert war, ist entsetzt darüber, dass hier, an einem Ort der Vernichtung von mehr als 50.000 Menschen und des Leidens so vieler weiterer, ein Armeeangehöriger exponiert auftrete. „Ein Ort der Erinnerung“, sagt er, „darf kein Ort werden, an dem Bundeswehrsoldaten Führungen machen, für die der Gehorsam und der Einsatz politisch gewollter kriegerischer Mittel nicht in Frage steht.“ Seit der Befreiung sei „unsere Losung ‚Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg‘. Das ist nicht aufgehoben.“ Die Häftlinge, sagt Bringmann, „waren Opfer des Krieges, da kann man doch jetzt nicht einfach Soldaten Führungen machen lassen“.

Er sieht im aktuellen Streit die Fortsetzung eines älteren Konfliktes: Im Februar 2004 hatte die Gedenkstätte Neuengamme eine Veranstaltung „Werden Bundeswehrsoldaten auf psychische Belastungen bei Auslandseinsätzen vorbereitet – ‚Leben mit dem Massengrab‘“ mit ausgerichtet. Dabei wurde in einem Filmbeitrag unter anderem gezeigt, wie die Soldaten verarbeiteten, was sie im Kosovo erlebt hatten. „Eine Bundeswehr-Therapiesitzung“, so Bringmann damals einigermaßen entsetzt. Nicht nur er beklagte, die Gedenkstätte werde dafür instrumentalisiert, Soldaten auf Auslandseinsätze vorzubereiten. Die Leitung der Gedenkstätte räumte später ein, die Veranstaltung sei „ungeschickt“ gewesen. „Ich hoffte“, sagt Bringmann heute, „damit wäre das mit der Bundeswehr geklärt.“

Seitdem schwelt vielmehr der Konflikt. Über die Problematik schweigt auch Detlef Garbe nicht: „Manche pädagogischen Mitarbeiter befürchten, dass die KZ-Gedenkstätte von der Bundeswehr zur Legitimation von militärischen weltweiten Einsätzen missbraucht werden“ – getreu der einst durch die rot-grüne Bundesregierung ausgegeben Maxime, gerade wegen Auschwitz habe Deutschland heute Kriege zu führen. „Diese Sorge“, so Garbe weiter, „teile ich, ehrlich gesagt, aber nicht.“ Derweil fragt sich Olaf K., ob die Leitung wirklich denkt, dass es keinen Unterschied macht, ob jemand von der Bundeswehr-Universität Soldaten herumführt, oder ob das jemand anderes tut. Ein Gespräch soll jetzt übrigens zeitnah stattfinden.